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408 Fotografisches Feuilleton · „Der Sonntag“: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie
men etwas genauer betrachtet, zum Schluss kommen,
dass Oplatka und sein Sonntag eng mit der linken
und liberalen Wiener Kulturszene der 1930er Jahre
verbunden ist, die durchweg Abstand hält zum dikta-
torischen „Ständestaat“.
Eine besonders enge Freundschaft verbindet Oplat-
ka mit Bil Spira, mit dem er täglich eng zusammenar-
beitet, sowie mit dem Schriftsteller und Theaterautor
Jura Soyfer, der bis 1934 öfter Gedichte in der Arbei-
ter-Zeitung veröffentlicht hat und nun gelegentlich
beim Sonntag mitarbeitet. Fast jede Woche treffen
sich die drei unweit des Verlagshauses Vernay im
„Auge Gottes“, einem populären Gasthaus in der Nuß-
dorfer Straße, zum Mittagessen und Gespräch.67 Zum
engeren Kreis um Oplatka gehören auch der Foto-
graf Jan Lukas, die Bildhauerin Anna Mahler – sie
ist die Tochter von Gustav und Alma Mahler –, die
Pädagogin und Sozialreformerin Eugenie Schwarz-
wald. Bekannt ist er auch mit dem Schriftsteller
Elias Canetti und dessen Frau Veza.68 Gut bekannt
und teilweise auch befreundet ist er mit einigen Sonn-
tag-Fotografen, etwa mit Otto Skall und dessen Frau
Gusti, die als Textautorin für den Sonntag schreibt,
mit Robert Haas und Trude Fleischmann. Bil Spira
wiederum ist mit dem Schriftsteller und Journalisten
Stefan Großmann befreundet, der Mitte der 1930er
Jahre nach längerer Zeit in Berlin wieder in Wien
lebt, ebenso mit dem Fotografen Robert Haas.69
Weitere enge Kontakte unterhalten Oplatka und
Spira zur Wiener Kleinkunstszene. Nach 1934 bie-
ten die Programme dieser Kleinbühnen, die Theater,
Musik und Kabarett verbinden, überwiegend lin-
ken, liberalen Künstlern, Autoren und Musikern die
Möglichkeit, weiterhin öffentlich aufzutreten und in
verdeckter, verfremdeter oder ironischer Form auf
brennende gesellschaftliche Themen der Gegenwart zu sprechen zu kommen.70 Soyfer schreibt seine Stü-
cke vor allem für die 1933 im Café Dobner am Ge-
treidemarkt gegründete Kleinkunstbühne „Literatur
am Naschmarkt“, aber auch für die Bühne ABC. Die
Verbindungen zwischen dem Sonntag bzw. dem Wie-
ner Tag und den beiden Bühnen sind eng. Der Sonn-
tag räumt ihren Programmen viel Platz ein. Immer
wieder werden neue Produktionen in Reportagen
vorgestellt. Einige der Fotografen, die für den Sonn-
tag arbeiten, dokumentieren auch die jeweils neuen
Stücke der Bühne „Literatur am Naschmarkt“.71
Zwischen Oplatka und Spira und einzelnen Künst-
lern der beiden Bühnen gibt es auch enge persönliche
Verbindungen. Hanns Margulies, Gerichtsreporter
und Feuilletonist beim Wiener Tag, ist künstlerischer
Leiter der Kleinkunstbühne ABC. Auf seine Einla-
dung hin gestaltet Bil Spira einige Bühnenbilder
für das ABC.72 Auch zur „Literatur am Naschmarkt“
unterhalten Oplatka und Spira gute Kontakte. Die
Verbindung kommt wohl über Jura Soyfer zustande,
der für die Bühne mehrere Stücke schreibt. Auf diese
Weise kommen die Sonntag-Redakteure mit Lothar
Metzel in Kontakt, einem jungen Juristen und Schrift-
steller, der ab 1934 die Programme der „Literatur am
Naschmarkt“ leitet und selbst mehrere Stücke, u. a.
auch für die Bühne ABC, schreibt. Er gilt als einer der
erfrischendsten und talentiertesten Theaterautoren
dieser Jahre. Oplatka lädt ihn ein, regelmäßig Texte
für den Sonntag zu schreiben.
Das Ende
Am 4. März 1938 wird im Wiener Museum für
Kunst und Industrie (heute: Museum für angewandte
Kunst) eine große Presseausstellung eröffnet. Die Ver-
anstaltung mit dem Titel „Die Zeitung und ihre Welt“
Abb.
26 „Die Zeitung und
ihre
Welt“. Ankündigung der Öster-
reichischen Presse-Ausstellung
im Österreichischen Museum
(heute: MAK),
4.
bis 20.
März
1938. Das interessante Blatt,
3.
März 1938, S.
11.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang