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409Das
Ende
(Abb.
26) fällt in eine politisch extrem angespannte
Zeit. Der Druck Hitlers auf Österreich nimmt Anfang
1938 stark zu. Um der erstarkten illegalen national-
sozialistischen Bewegung, die in Österreich für den
„Anschluss“ kämpft, Wind aus den Segeln zu neh-
men, setzt der österreichische Kanzler Kurt Schusch-
nigg für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung an.
Sie soll, so der Plan der Regierung, zu einem Plebis-
zit für die österreichische Unabhängigkeit werden.
Dazu kommt es freilich nicht mehr. Am Abend des 11.
März 1938 gibt Schuschnigg einem Ultimatum Hitlers
nach und tritt zurück. Am 12. März 1938 marschieren
deutsche Truppen in Österreich ein. Am Tag darauf
kommt es zum „Anschluss“ des Landes an das natio-
nalsozialistische Deutschland.
Die Presseausstellung findet nicht zufällig kurz vor
der Volksabstimmung statt, sie soll nämlich dazu bei-
tragen, die Bevölkerung für die bevorstehende Ab-
stimmung zu mobilisieren. Eröffnet wird die Schau
vom Kanzler höchstpersönlich. Veranstaltet wird sie
von der regierungsnahen Österreichischen Presse-
kammer. Auch der Wiener Tag mit seiner illustrier-
ten Beilage Der Sonntag nimmt an der Ausstellung
teil. Obwohl das Blatt gewöhnlich nicht zu den wil-
ligen Propagandaorganen der Regierung zählt, trägt
es angesichts der offensichtlichen nationalsozialis-
tischen Bedrohung dazu bei, die Selbstständigkeit
Österreichs zu propagieren. Am 6. März 1938, zwei
Tage nach der Eröffnung der Schau, berichtet der
Sonntag über die Ausstellung. Auf der Titelseite wirft
der Fotograf Otto Skall einen ungewöhnlichen Blick in
die Koje des Wiener Tag (Abb.
27). Er zeigt nicht den
Ausstellungsraum als Ganzes, nicht Besucher und
auch nicht Zeitungen, sondern einen in die Diagona-
le gekippten Ausschnitt von der Rückwand der Koje.
Diese ist grafisch ausgekleidet. Gezeichnete Körper
mit aufgesetzten fotografierten Köpfen stellen Leser
dar. Sie halten den Wiener Tag und seine Beilagen in
ihren Händen. Die moderne, eigenwillige Gestaltung
hebt sich deutlich von der konventionellen Ästhetik
anderer Aussteller ab.73 Die Ausgabe des Sonntag, in der die Wiener Pres-
seausstellung vorgestellt wird, trägt die Nummer
207 im Zeitungskopf. Es ist die letzte Nummer, die
erscheint. Eine Woche später ist die Mutterzeitung
Der Wiener Tag verboten und auch Der Sonntag er-
scheint nicht mehr. Am 12. März 1938 wird die Re-
daktion von Nationalsozialisten besetzt. Hans Oplatka
Abb.
27 Presseausstellung im Österreichischen
Museum, Wien,
März 1938. Die Koje des Wiener Tag,
des Mutterblattes der
Wochen-
endbeilage Sonntag, ist
mit einer Fotomontage austapeziert. Der
Sonntag, 6.
März 1938, Titelseite. Foto: Otto Skall.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang