Seite - 415 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945

415Der „Führer“ spricht zu mobilisieren. Diese soll am 10. April 1938 stattfin- den. Die vom „Führer“ besuchten Städte verwandeln sich für Stunden zu nationalsozialistischen „Gesamt- kunstwerken“. Jedes Detail der „Führer“-Besuche ist penibel geplant, von der Lichtregie und der Beflag- gung über den obligatorischen Straßenschmuck und die Lautsprecheranlagen bis zur Bühnentechnik und den triumphalen Musikeinlagen. Abends hält Hitler jeweils vor ausgewähltem Publikum eine Rede. Der Tag des Hitlerbesuchs wird zum Festtag erklärt. Er ist schul- und arbeitsfrei. Hunderte von Sonderzügen und Bussen bringen Zehntausende von Besuchern zu den Veranstaltungsorten. Die Begeisterung soll, so die Organisatoren, im Vorfeld der Abstimmung über- wältigend ausfallen. Nicht zufällig hat Hitler für den Auftakt dieser Propagandaschlacht Graz auserkoren, die „Stadt der Volkserhebung“, wie sie in der natio- nalsozialistischen Diktion genannt wird. Am 3. April 1938 lässt sich Hitler in den Straßen der Stadt beju- beln. Am Abend tritt er in der riesigen Montagehalle einer Waggonfabrik vor 20 000 Anhängern auf. Allein in Graz sind 20 000 Soldaten und Sicherheitskräfte im Einsatz, um die heranströmenden Menschenmas- sen zu kanalisieren. Insgesamt 400 000 Besucher tummeln sich an diesem Tag in der Stadt, weit mehr Menschen als Graz Einwohner hat. Abb.  4  Propagandistische  Gegenüberstellung  des  „alten“  Ständestaates  und  des  „neuen“  nationalsozialistischen  Deutsch-  land.  Österreichische Woche,  31.  März  1938,  S.  4/5.