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417Heinrich
Hoffmann: Hitler-Fotograf
Hand in Hand mit der perfekten Inszenierung der
Massenveranstaltung geht die mediale Begleitung der
Auftritte. Radio, Filmwochenschau und Zeitungen be-
richten ausführlich in Text, Bild und Ton über die Ver-
anstaltungen. Der Tenor der Berichte variiert kaum,
die Propagandamaschinerie des Regimes findet in der
gleichgeschalteten Presse willige Multiplikatoren. Be-
sonders wichtig ist der nationalsozialistischen Füh-
rung die Bildberichterstattung. Das interessante Blatt
räumt dem Grazer Auftritt des Führers in Form eines
„Sonderbildberichtes“ besonders viel Platz ein. Am
7. April 1938, wenige Tage nach der Veranstaltung,
zeigt die Titelseite des Blattes Hitler während seiner
Grazer Rede.8 (Abb.
5). Über dem Porträt des Redners
prangt unmissverständlich der Aufruf: „Dein ‚Ja‘ –
dem Führer!“ Im Innenteil wird die Reportage über
mehrere Seiten hinweg fortgesetzt. Eine Doppelseite
widmet sich dem Graz-Besuch des „Führers“, eine
weitere berichtet über die restlichen Stationen der
Propagandareise.
Der Auftritt Hitlers in Graz wird vom Wiener Presse-
fotografen Lothar Rübelt in Bildern festgehalten. Es
ist bezeichnend, dass die Redaktion einen Fotogra-
fen, der schwerpunktmäßig im Sportbereich tätig
ist, mit dieser anspruchsvollen und heiklen Aufgabe
betraut. Sogar der Text zu dem Bildbericht aus Graz
stammt von Rübelt. Der Grund dürfte darin liegen,
dass Rübelt viel Erfahrung im Dokumentieren von
komplexen Großereignissen hat. Zudem ist er ein
begeisterter und verlässlicher NS-Anhänger. Wenige
Monate später, am 22. Dezember 1938, beschreibt
Rübelt in einem Schreiben seine Verdienste um die
Partei und betont, dass er schon vor 1938 für die na-
tionalsozialistische Bewegung tätig gewesen sei. „Ich
habe als Reichsdeutscher in Wien lebend mit Erfolg
den Einfluß von Juden in meinem Arbeitsgebiet zu-
rückgedrängt. Vor der Verbotszeit war ich fast der al-
leinige Fotograf der Parteipresse und auch während
der Verbotszeit ist es mir durch die Möglichkeit des
ungehinderten Grenzübertritts gelungen, der Bewe-
gung wertvolle Dienste zu leisten. Ich verweise dies-
bezüglich auf die Empfehlungsschreiben der Reichs-
statthalterei an die Filmkammer.“9
Im Bericht aus Graz lässt Lothar Rübelt seiner Be-
geisterung freien Lauf. „Vor der festlich geschmückten Grazer Bahnhofsallee empfing ein Orkan der Freude
den Retter Österreichs, als der Führer Grazer Boden
betrat. Der Führer grüßte mit erhobener Hand, im
Wagen stehend, und eine überschäumende Begeiste-
rung erfaßte die Menschen, die ihren Führer, der aus
ihrer Heimat stammt, zum erstenmal sahen. Unbe-
schreiblich war der Ausbruch der Freude der 20 000,
als der Führer in der Halle der Weitzer Waggonfabrik
erschien und hier zu seinen Steirern, durch den Rund-
funk aber zu ganz Großdeutschland sprach.“10
Als der „Führer“ eine Woche später, am 9. April
1938, in der Halle des Wiener Nordwestbahnhofes
seinen abschließenden Auftritt vor der Volksabstim-
mung absolviert, ist Lothar Rübelt wieder mit dabei.
Neben ihm sind bei den Massenveranstaltungen
zahlreiche weitere Fotografen im Einsatz.11 Auch ihre
Bilder finden den Weg in die Presse, wo sie ähnlich
suggestiv präsentiert werden.
Heinrich Hoffmann: Hitler-Fotograf
Am Tag der Volksabstimmung, dem 10. April 1938,
bringen die Wiener Bilder ein Hitler-Porträt auf der
Titelseite. Der Aufruf ist eindeutig: „Dem Befreier Ös-
terreichs – dem Retter Deutschlands Dein ‚Ja‘!“12 Die
Vorlage dieser Abbildung stammt aus der Fotoagentur
von Heinrich Hoffmann, der bereits seit Jahren die
Karriere Hitlers fotografisch und publizistisch beglei-
tet. Er gilt als der Hitler-Fotograf, er ist es, der das
bekannte fotografische Image des „Führers“ entwirft
und verbreitet. Auch die Österreich-Auftritte Hitlers
werden von Hoffmann lückenlos dokumentiert und
vermarktet. Heinrich Hoffmann wird in den folgen-
den Jahren nicht nur im „Reich“, sondern auch in der
angeschlossenen „Ostmark“ zur zentralen Anlauf-
stelle für NS-Bilder (Abb.
6). Über seinen Verlag und
seine Fotoagentur gelingt es ihm, zum größten und
wichtigsten nationalsozialistischen Bildlieferanten
aufzusteigen.13 Das Unternehmen expandiert rasch.
1932 verfügt es noch über 17 Angestellte (darunter
die junge Eva Braun, Hitlers spätere Geliebte), 1943
sind bereits 300 Mitarbeiter für die Firma im Einsatz.
Täglich werden nicht nur an die 160 Redaktionen mit
aktuellen Pressefotos beliefert, man produziert auch
Bildbände, Werbebroschüren, Postkarten und weite-
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang