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424 Den Krieg vor Augen · Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik
die gesamte Kriegszeit überleben. MOCCA und Mus-
kete hingegen werden 1941eingestellt.
Eigentümerwechsel, Repression, Säuberungen,
inhaltliche und grafische Umgestaltung – all diese
Umbrüche schlagen sich auch im beruflichen Wer-
degang der Fotografen nieder. Während, wie bereits
erwähnt, die jüdischen und politisch nicht genehmen
Fotografen von der Bildfläche verschwinden, machen
treue Parteigänger oder willige Mitläufer schnell Kar-
riere, die sie oft auch nach dem Krieg unbehelligt
fortsetzen können. Zu den klassischen Pressefotogra-
fen, die bereits vor 1938 tätig waren und sich danach
problemlos mit den neuen Machthabern arrangieren,
zählen u. a. Lothar Rübelt, Albert Hilscher, Bruno Völ-
kel, Karl Schleich, Stanislaus Wagner, Vinzenz Stöger,
Heinz von Perckhammer, Lena Schur, Mario Wiberal,
Karl Ellinger und Franz Roth. Letzterer ist seit 1934
in Berlin tätig.
Es gibt aber auch Pressefotografen, die erst nach
1938 größeren Erfolg haben. Franz Blaha etwa arbei-
tet zwar schon seit Mitte der 1920er Jahre im Foto-
handel, aber als Pressefotograf ist er erst seit 1937
tätig. Er ist einer der Profiteure des neuen Regimes.
Aber auch Anton Doliwa, Alois Sedlacek, Franz Krie-
ger (der nach 1938 für die Wiener Niederlassung der
Fotoagentur Heinrich Hoffmanns tätig ist), Otto To-
mann, Wilhelm Sturm, Hertha Schulda-Müller Hans
Strof und einige andere sind vor allem nach 1938 in
der Öffentlichkeit präsent.
Daneben gibt es eine große Zahl von Amateuren,
die sich in der nationalsozialistischen Presse nach
1938 einen festen Platz erobern. Zu ihnen gehören
Maximilian Karnitschnigg, Norbert Kraus, Simon
Moser, Hanns Ortner, Hans Misar, Rudolf Penitsch,
Günther Baszel, Hans Furthner, Willi Jungmeier und
Oswald Elbl, der gerne knorrige Älpler, aber auch
Landschaften und Genrebilder fotografiert. Michael
Neumüller nimmt neusachliche Stillleben ebenso auf
wie konventionelle Genreszenen. Elly Rauch ist eine
Spezialistin für idyllische Genrebilder. Einige diese
Amateure liefern vor allem Fotoreportagen. Ilse Stein-
hoff und Edith Wellspacher etwa liefern Reisebe-
richte, Erika Schmauss berichtet (neben ihren Do-
kumentationen zur Kunstgeschichte) u. a. über das
„befreite Sudetenland“, Erika Schmachtenberger (die deutscher Herkunft ist, aber viel in Österreich pub-
liziert) und Monika Rückauf fotografieren u. a. Land
und Leute nach dem Balkanfeldzug, der am 6. April
1941 beginnt. Andere, etwa Leopold Fiedler und Her-
bert Peßl, spezialisieren sich auf die Sportfotografie.
Unter den Atelier-, Werbe- und Architekturfotogra-
fen gibt es einige, die nebenbei als freie Mitarbeiter
für Zeitungen tätig sind oder Auftragsarbeiten außer-
halb des Studios ausführen und die keinerlei Scheu
haben, in der nationalsozialistischen Presse zu ver-
öffentlichen. Unter ihnen sind Julius Scherb, Bruno
Reiffenstein, Kitty Hoffmann, Maria Wölfl (Abb.
5),
Lucca Chmel, Hans Madensky, Franz Swoboda oder
Josef Zapletal, der vorzugsweise Autos fotografiert.
Ästhetische Experimente:
Das Beispiel Wiener Magazin
Unter all den Zeitschriften und Magazinen, die
nach 1938 im Geist und unter der Kontrolle des Na-
tionalsozialismus weitergeführt werden, bildet das
monatlich erscheinende Wiener Magazin eine Ausnah-
me. Die meisten anderen vergleichbaren Zeitschriften
(etwa die Bühne) passen sich viel deutlicher dem na-
tionalsozialistischen Mainstream an. Im April 1941
wird das Wiener Magazin ohne Angabe von Gründen
eingestellt. Ausschlaggebend für die Schließung ist
aber wohl nicht das moderne Konzept der Zeitschrift.
Vielmehr ist sie, so wie andere Publikationen auch,
von mehreren Entwicklungen betroffen, die die illus-
trierte Presse nach 1938 erfassen: der Konkurrenz
reichsdeutscher Zeitschriften, dem 1939 einsetzen-
den Krieg, der einen zunehmenden Personal- und
Materialmangel (z. B. Papier) mit sich bringt.12
Die experimentelle Linie der Zeitschrift ist mit
einem konkreten Namen verbunden: Hans Misar.
Misar, geb. 1913, ist ein typischer Profiteur des na-
tionalsozialistischen Raubzugs in Wien. Der nati-
onalsozialistische Multifunktionär, Verlagsunter-
nehmer und Journalist ist eng mit den führenden
Parteifunktionären vor Ort vernetzt. Kaum ist der
„Anschluss“ im März 1938 vollzogen, tritt er auf den
Plan. Misar wird in den folgenden Jahren im „gleich-
geschalteten“ Wiener Mediengeschäft eine wichtige
Rolle spielen. Er übernimmt noch im Frühjahr 1938
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang