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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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440 Eine andere Kulturgeschichte · Schluss len. Auf der anderen Seite, und das ist im vorliegen- den Zusammenhang besonders interessant, sind die fotografischen Bilder auch Projektionen, Wunsch- bilder, die fremde, unzugängliche oder tabuisierte Bereiche des Lebens eröffnen. Die voyeuristische Bildberichterstattung hat also auch die Funktion, bürgerliche Lebenswelten zu befestigen, indem sie Ausbrüche in der Fantasie ermöglichen. Eine ähnli- che Rolle spielt im Übrigen auch das frühe Kino, das ebenfalls gesicherte, zeitlich befristete Ausbrüche aus dem bürgerlichen und kleinbürgerlichen Leben anbie- tet.11 Es ist wichtig, auch diesen zweiten, oft wenig be- achteten Aspekt der frühen Pressefotografie im Auge zu behalten, wenn man das Medium in seiner breiten kulturgeschichtlichen Bedeutung erfassen will. Der enorme Erfolg der illustrierten Presse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegt nicht zuletzt darin, dass es ihr gelungen ist, eine Art Echoraum bürgerlicher Wünsche und Sehnsüchte zu bilden. Gerade in einer Epoche, in der das bürgerliche Selbstverständnis nicht mehr klar umrissen und das kollektive Selbstbewusstsein dieser Schicht brüchig geworden ist, bildet die fotografische Bilderwelt, die Woche für Woche in den auflagenstarken Zeitungen aufbereitet wird, eine stabilisierende Klammer. Die Berichterstattung bestätigt die eigenen Werte und zugleich ermöglicht sie es, aus sicherer Entfernung (gewissermaßen vom Lehnsessel im Wohnzimmer aus) den spektakulären Verlockungen und den verbotenen Verheißungen nachzugeben, um anschließend wieder in die wohlgeordnete und gesittete gutbürgerliche Welt zurückzukehren. Der fotografische Boulevard, der sich um die Jahr- hundertwende durchsetzt, gleicht in seiner Struktur den „Faits divers“, den „vermischten Meldungen“. Diese journalistische Gattung hält, wie wir gesehen haben, Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in die bür- gerliche Presse.12 Es handelt sich um klar vom Rest der Zeitung abgegrenzte populäre Einsprengsel, um voyeuristische Kurzgeschichten, um spektakuläre und halb fiktive Begebenheiten, die dem Bedürfnis entgegenkommen, für einen Augenblick aus der ge- ordneten bürgerlichen Welt auszubrechen. Die po- puläre Bildpresse übernimmt das Konzept der „ver- mischten Meldungen“, weitet es im Umfang stark aus und setzt die Fotografie zur Bebilderung des Spekta- kulären ein. Die „Faits divers“ sind zwar kleine Ex- zesse, kurzfristige Ausbrüche aus der bürgerlichen Ordnung, aber sie stellen diese nicht infrage. Sie loten das Regime des Anstands und der Moral aus, indem sie dessen Grenzen mit den Mitteln des Voyeurismus überschreiten. So sensationslüstern die Berichterstat- tung in den populären Zeitungen auch ist, eines ist klar: Die bürgerliche Bildpresse achtet stets darauf, sich deutlich von der Skandal- und Revolverpresse oder der pornografischen Publizistik abzugrenzen.13 Letztlich sind die neugierigen Ausflüge ins Reich des Populären also nichts anderes als geführte Fantasie- reisen, die das Territorium der bürgerlichen Kultur nie verlassen. Das  langsame  Ende  der  illustrierten  Presse Mehr als ein halbes Jahrhundert lang, von der Jahrhundertwende bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, ist die Pressefotografie das dominierende bildliche Nachrichtenmedium in der westlichen Welt. Erst danach wird die illustrierte Presse allmählich vom Fernsehen abgelöst. Zwar erhalten die Illust- rierten zeitweise auch Konkurrenz, etwa durch die Wochenschauen im Kino, die ab den 1930er Jahren ebenfalls bildliche Nachrichten (ebenso wie Sensatio- nen) für ein breites Publikum anbieten. In den 1950er und 1960er Jahren setzen die illustrierten Wochen- blätter und -magazine in vielen Ländern zu einem Abb.  2  Raubmord  im  Café  Regensburg  in  Karlsbad.  „Die  bei  dem  Überfall  verwundete  Cafetiersgattin  Frau  Honisch  in  ihrem  Schlafzimmer,  in  welchem  die  ersten  Schüsse  fielen“.  Das interessante Blatt,  10.  Juli  1902,  S.  7.
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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