Seite - 442 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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442 Eine andere Kulturgeschichte · Schluss
In Europa löst das Fernsehen die illustrierten Ma-
gazine als Leitmedium des Bildjournalismus nicht
ganz so schnell ab wie in den USA, was zu einem
guten Teil daran liegt, dass es in seinen Anfängen
organisatorisch anders strukturiert ist. Die europä-
ischen Fernsehanstalten sind in den ersten Jahren
fast ausschließlich staatliche oder öffentlich-rechtli-
che Institutionen und finanzieren sich als solche an-
ders als die amerikanischen Sender vor allem über
Gebühren oder Steuern und nicht hauptsächlich
über Werbeeinnahmen. Sie mischen weit später als
in den USA im lebenswichtigen Anzeigengeschäft
mit und stellen lange Zeit keine existenzgefährden- de Konkurrenz für die Magazinpublikationen dar. In
Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien
entsteht im Lauf der zweiten Jahrhunderthälfte sogar
eine ganze Reihe neuer und teilweise sehr erfolgrei-
cher illustrierter Zeitschriften wie der Stern (1948),
Paris Match (1949), Twen (1959), das Sunday Times
Magazine (1962) (Abb.
4), Geo (1976), das F.A.Z.-Maga-
zin (1980) oder Sette (1987), von denen sich allerdings
einige, im Gegensatz zu den herkömmlichen Gene-
ral-Interest-Titeln wie Life, an ein klar umgrenztes
Zielpublikum richten.17
In Deutschland und Österreich markiert das Jahr
1945 in der Presselandschaft einen tiefen Einschnitt.
Im Nationalsozialismus wurde die freie Presse er-
stickt, jüdische und politisch unliebsame Verlags-
häuser wurden geschlossen, aufgelöst oder fusioniert.
Durch die Vertreibung jüdischer Verleger, Herausge-
ber, Autoren und Fotografen kommt es zu einem ge-
waltigen journalistischen Exodus, von dem sich die
Presse nach 1945 nie mehr ganz erholen kann. Einen
weiteren Einschnitt bringt der Krieg. Im Laufe des
Zweiten Weltkrieges werden zahlreiche illustrierte
Zeitungen und Zeitschriften eingestellt – zunächst,
um die Propagandaanstrengungen zu fokussieren,
später aus Papier- und Materialmangel, schließlich,
weil die Logistik des Vertriebs zusammenbricht. Zu
Kriegsende 1945 hört die kompromittierte NS-Presse
auf zu existieren.
Erst allmählich entstehen unter alliierter Ober-
aufsicht neue Zeitungen und Zeitschriften, darunter
auch Neugründungen illustrierter Wochenblätter
und Magazine.18 Obwohl die Presse der Jahre nach
1945 offiziell einen deutlichen Trennstrich zur
NS-Presse zieht, gibt es in personeller und teilweise
auch in ideologischer Hinsicht zahlreiche Kontinui-
täten – sowohl in Deutschland wie in Österreich.19
Die bekanntesten österreichischen Nachkriegsil-
lustrierten sind die SPÖ-nahe Wiener Bilderwoche
(1945 –1960) (Abb.
5), die ÖVP-nahe Große Österreich
Illustrierte (1949 –1964), die KPÖ-nahe Welt-Illustrierte
(1946–1955) und die überparteiliche Wiener Illustrier-
te (1947 –1962). Ab Mitte der 1950er Jahre werden
diese Zeitschriften aber nach und nach eingestellt.
Ein Jahrzehnt später existiert keines dieser Blätter
mehr. Zwar gibt es auch danach noch vereinzelte
Abb.
4 Das 1962 gegründete
Sunday Times Magazin gehört
zu
den
wichtigen
fotojournalisti-
schen Plattformen
der euro-
päischen
Nachkriegszeit.
Sunday
Times Magazine, 27.
November
1966, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang