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443Die
Fotografen: Beruf und Image
Zeitungen und Zeitschriften, die zumindest teilweise
auf die Berichterstattung in Bildern setzen (etwa die
1955 gegründete Wochenpresse 20), aber es gelingt ih-
nen nicht, die Tradition der Illustrierten fortzusetzen.
Nach dem Abzug der alliierten Mächte und der
Ausrufung der Neutralität (1955) öffnet sich das
Land politisch und wirtschaftlich hin zu seinen west-
lichen Nachbarn, insbesondere zur Bundesrepublik
Deutschland. Die enge wirtschaftliche Verflechtung
mit dem Nachbarland macht sich bald auch auf dem
Zeitschriftenmarkt bemerkbar. Die bundesdeutschen
Illustrierten, die gezielt neue Absatzmärkte erschlie-
ßen, können ab Mitte der 1950er Jahre in Österreich
enorme Zuwachsraten erzielen. Mittels aufwendiger
Werbekampagnen und eigens gegründeter „Öster-
reich-Ausgaben“ beginnt ein harter Verdrängungs-
wettbewerb.21 Die österreichischen Blätter geraten
in dieser Situation zunehmend unter Druck. Sie
können wirtschaftlich mit ihren deutschen Konkur-
renten nicht mithalten, vor allem weil sie den Kampf
um die Anzeigen verlieren.22 Durch ihre chronische
Unterfinanzierung versäumen sie Anpassungen an
den Lesergeschmack, etwa teure Investitionen in den
Farbdruck, sie sparen bei kostspieligen Reportagen
und ihre grafische Aufmachung bleibt durchweg kon-
servativ. Am 31. Dezember 1960 verabschiedet sich
die Redaktion der Wiener Bilderwoche mit folgenden
Sätzen: „Wir räumen das Feld unter dem Druck der
ungehemmten Überschwemmung unseres Landes mit
importierten Illustrierten.“23
Die Fotografen: Beruf und Image
Ich habe in diesem Buch die Geschichte des Foto-
journalismus nicht als Chronologie großer Fotogra-
fen, auch nicht als Abfolge fotografisch-technischer
Errungenschaften oder als Erfolgsgeschichte grafi-
scher Lösungen nachgezeichnet, sondern als mehr-
schichtige, thematisch sehr offene Gesellschafts- und
Kulturgeschichte. Pressefotografien sind, aus diesem
Blickwinkel betrachtet, Dokumente, die auf eine brei-
tere Gesellschaftsgeschichte verweisen und erst in
zweiter Linie auf das angeblich geschlossene Œuvre
eines Fotografen. Damit unterscheidet sich diese Stu-
die grundlegend von Monografien und Ausstellungs- katalogen, die sich dem Leben und Werk einzelner
Starfotografen widmen, ohne danach zu fragen, in
welchen Kontexten die Bilder entstanden sind und
wie sie seinerzeit in der Öffentlichkeit verwendet
wurden. Diese Aufwertung der Fotografen zu unum-
strittenen Hauptdarstellern des Fotojournalismus,
wie sie in den letzten Jahren erfolgte, verstellt oft
den Blick auf die gesellschaftspolitischen Zusammen-
hänge, in denen die Fotografen tätig waren und ihre
Aufnahmen machten. Wir haben gesehen, dass die
Pioniere der Pressefotografie zunächst nichts ande-
res waren als einfache, oft sogar anonym arbeitende Abb.
5 Eine ganze Reihe von
Illustrierten wird nach 1945
in Österreich gegründet. Die
Jahre des fotojournalistischen
Aufbruchs währen aber nur
kurz. Ab Mitte der 1950er Jahre
werden die Zeitungen nach
und
nach wieder eingestellt.
Die 1945 gegründete Wiener
Bilderwoche erscheint bis
1960. Wiener Bilderwoche,
2.
August 1958, Titelseite. Foto:
Elly Niebuhr.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang