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: Stadt, Umwelt und Alltag |
Ab den 1970er Jahren haben englische Historiker/innen grundlegende Überlegun-
gen zur Aussagekraft des Alltäglichen und zur Annäherung an das historische All-
tagsleben vorgestellt, die im deutschen Sprachraum als »Alltagsgeschichte« vor allem
von Alf Lüdtke vertreten worden sind. Man begann, Automatismen und »Top-down«-
Prozesse zu hinterfragen, und versuchte eine Annäherung an die alltägliche Hand-
lungsmacht »der Vielen«, wie es Lüdtke formuliert hat.45 »Aneignung« wurde in die-
sem Kontext ein zentraler, von Lüdtke geprägter Ansatzpunkt : Es gehe um die »Art
und Weise, in der Chancen wie Zumutungen wahrgenommen und in Momente des
eigenen Lebens umgeformt werden«.46 Damit grenzte man sich gegen die Vorstellun-
gen der Strukturgeschichte ab und verwies u. a. auf die vielfältigen Ambiguitäten
und Variationen in Modernisierungsprozessen. Aber weder wurde die Einbindung in
übergeordnete Strukturen zurückgewiesen noch fand eine Konzentration auf isolierte
Aspekte des Alltagslebens statt. Man fragte nach subjektiven Erfahrungen, deren Re-
konstruktion mitunter durch mikrohistorische Ansätze versucht wurde.47 Interessan-
terweise sprach Lüdtke schon früh die Notwendigkeit an, im Rahmen der Alltagsge-
schichte genauso »langfristige Zusammenhänge bzw. Veränderungen« zu bearbeiten,
und schlug vor, nach »Reichweiten« von wissenschaftlich-elitären wie alltäglichen
Wissensformen zu fragen.48
Obgleich diese Überlegungen vielfältige Anknüpfungspunkte für umwelthistori-
sche Studien boten, sind sie interessanterweise in der Umweltgeschichte nicht rezipiert
worden, zumindest nicht explizit.49 Impulse für eine Annäherung an die alltägliche his-
torische Umwelt kommen auch aus der sozialen und politischen Ökologie und aus der
Politikwissenschaft : Neben Konzepten wie dem Metabolismus und der Produktion
von Natur (vgl. unten) ist hier die Frage nach dem Ablauf von Politikprozessen hilf-
reich. Der Geograph Erik Swyngedouw sieht Veränderungen von städtischer Umwelt
eng an die Frage der Macht gebunden : Die »material conditions« in Städten wurden
und werden ihm zufolge von Eliten gestaltet und kontrolliert, partiell »at the expense
of marginalized populations«. Materielle (und ökologische) Veränderungsprozesse
hät ten also eine wesentliche soziale Dimension.50 Überlegungen zur urban governance
lieferten in diesem Kontext weitere Ansatzpunkte für das Verstehen politischer Pro-
zesse in der Stadt. Diese Konzepte zweifelten an der Durchsetzungsfähigkeit – und
Effizienz
– zentraler Hierarchien (hier ging es vor allem um den postmodernen Natio-
nalstaat) und sahen ein Nebeneinander resp. ein Zusammenwirken unterschiedlicher
politischer Akteure auf verschiedenen Machtebenen.51 In Politikprozessen würden
45 Steege et al., History ; vgl. Lüdtke, Einleitung.
46 Lüdtke, Alltagsgeschichte, 84.
47 Lüdtke, Einleitung ; Lüdtke, Alltagsgeschichte.
48 Lüdtke, Einleitung, 20 ; Lüdtke, Alltagsgeschichte, 87.
49 Wenngleich man einige Studien (z. B. Evans, Tod oder Collet, Katastrophe) durchaus so lesen könnte.
50 Heynen/Kaika/Swyngedouw, Ecology, 6 u. ebd., passim.
51 Brenner, Governance, 447.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Titel
- Transformationen städtischer Umwelt
- Untertitel
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Autor
- Georg Stöger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 368
- Schlagwörter
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364