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176 | Zirkulationen und Output
handelte es sich um eine Anfrage, die aus Preußen kam und über das Handelsminis-
terium an die Landwirtschaftsgesellschaften und Provinzregierungen weitergereicht
wurde : Anknüpfend an die damals laufenden Diskussionen über die Nutzung von
Fäkalien als Dünger in der Landwirtschaft, versuchte man, Informationen über Er-
fahrungen und Praktiken in verschiedenen mitteleuropäischen Städten zu sammeln.235
Interessanterweise entwickelte diese Anfrage mittelfristig eine erhebliche Dynamik –
zunächst etablierte der Gemeinderat ein Komitee, das die bestehende Fäkalentsorgung
und die Option der Düngernutzung evaluieren sollte.236 Damit entwickelte sich
– was
in anderen Städten damals begann oder bereits stattgefunden hatte237 – in Linz die
Stadtverwaltung zu einem entscheidenden Akteur, der aktiv auf eine Neuregelung der
Fäkal- und Abwasserentsorgung hinarbeitete.
Im Jänner 1868 wies das Komitee in drastischen Worten auf die »Mängel« der der-
zeitigen Fäkalentsorgung hin, konstatierte einen kausalen Zusammenhang zwischen
durch Abwässer verunreinigtem Trinkwasser und dem Ausbruch epidemischer Krank-
heiten und plädierte dafür, das »bestehende Sistem […] aufzugeben, und ein ent-
sprechenderes an deren Stelle zu setzen«.238 Der Gemeinderat ließ einen Niveauplan
der Stadt herstellen, Wasseruntersuchungen durchführen (vgl. Kap. 3. Wasser) und
beauftragte den Grazer Ingenieur Rudolf Linner mit einem Gutachten zum Linzer
Abwasserentsorgungssystem.239 Linner argumentierte ähnlich wie der Gemeinderat :
Er nahm eine Verunreinigung des Trinkwassers durch Abwässer über Boden und Luft
an, bewertete die Sickergruben (»Versitzgruben«) als »ein Unikum an Sanitätswidrig-
keit« und sah die Stadt allgemein von krankmachenden Gasen und »Ausdünstungen«
betroffen.240 Linners Gutachten wurde als gemeindefinanziertes Druckwerk publiziert
und an alle Linzer Hausbesitzer verteilt, zudem auszugsweise – im Rahmen der Be-
richterstattung über die Gemeinderatssitzungen – in den Zeitungen veröffentlicht.241
Linners Empfehlung zielte darauf – wie bereits in Graz praktiziert –, die Fäkalien
in Fässern zu sammeln und diese über einen städtischen Dienst regelmäßig zu lee-
ren (»Fass-Abort-System«). Dies sei schnell und günstig umzusetzen.242 Eine kosten-
günstige Lösung war im Gemeinderat konsensfähig und zunächst versuchte man, das
Fass-Abort-System im Volksgartensalon probeweise einzusetzen, was aber offenbar
unterblieb. Nur die Landesregierung und einzelne Haushalte scheinen die Fass-Ab-
235 Wochenblatt der k.k. Gesellschaft der Aerzte in Wien 43 (1867), 370 – 371, hier 370 ; vgl. Pichler-
Baumgartner, Wege, 65.
236 GRP 1867, fol. 329a.
237 Pichler-Baumgartner, Wege, 40f. u. 64 ; vgl. zu US-amerikanischen Städten : Melosi, America, 168.
238 GRP 1868, fol. 9a – 11b.
239 AStL, Alte Registratur, Sch. 175 ; GRP 1868, fol. 133a.
240 Linner, Salubritäts-Verhältnisse, 32.
241 LTP, 24.5.1868.
242 Linner, Salubritäts-Verhältnisse, 23f. u. 28f.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Titel
- Transformationen städtischer Umwelt
- Untertitel
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Autor
- Georg Stöger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 368
- Schlagwörter
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364