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288 | Versorgungskrise
mit dem Teuerungsschub im Frühjahr 1847 kehrten einzelne deutsche Territorien zu
den »alten« Reaktionen zurück und setzten Vorverkaufs- und Zwischenhandelsver-
bote, Zollerleichterungen für Einfuhr von Getreide und Verbote des Schnapsbrennens
aus Getreide oder Kartoffeln in Kraft und initiierten finanzielle Unterstützungen resp.
staatlich subventionierte Getreideankäufe. Der unbeschränkte Getreidehandel wurde
aber von staatlicher Seite, anders als in früheren Versorgungskrisen, nicht grundsätz-
lich infrage gestellt – es bestanden nur temporäre Exportverbote.99 Zwischen Mai
und November 1847 war auch in Oberösterreich die Ausfuhr von Getreide, Hülsen-
früchten und Kartoffeln verboten,100 in Linz wurde erneut die Armenversorgung aus-
geweitet, preisreduziertes Brot – teilweise über eine bürgerliche »Privatwohlthätig-
keits-Anstalt« – angeboten und Notstandsbauten als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
initiiert.101
Die Folgen dieser Krise waren vermutlich weniger existenzbedrohender Hunger,
sondern soziale Probleme und eine Erhöhung des Armutsrisikos,102 denn immer noch
musste in Unterschichtshaushalten der Großteil der Einnahmen für Lebensmittel aus-
gegeben werden.103 Eine weitere Auswirkung waren soziale Proteste, die unregulierte
Märkte für die Teuerungen verantwortlich machten.104 Erstaunlicherweise wurden in
den Linzer Ego-Dokumenten Versorgungskrisen – nicht nur die der 1840er Jahre –
anders als z. B. das »politische« 1848 oder die Franzosenkriege kaum thematisiert. Der
Hunger fand nur in Chroniken Erwähnung, aber auch nicht sehr ausführlich. Für Linz
geben lediglich einzelne Polizeiberichte, die das habsburgische Innenministerium
summarisch über die Situation vor Ort informierten und die für die Jahre 1845 und
1847 überliefert sind, Einblick in sozioökonomische Auswirkungen und Wahrneh-
mungen der damaligen Teuerungskrise. Schon 1845 meldete der Linzer Polizeidirek-
tor nach Wien, dass man in der Stadtbevölkerung ein obrigkeitliches Vorgehen gegen
die Teuerung erwarte, besonders ein Ausfuhrverbot für Getreide. Es sei »Meinung der
Masse«, so der Bericht, dass die Teuerungen mit dem Zurückhalten des regionalen
Getreides und mit dem Export nach Bayern zusammenhingen, die Schuld also bei
den Händlern zu suchen sei. Derzeit gebe es keinen Anstieg der Kriminalität, auch
keine Unruhe in der Bevölkerung.105 Deutlich zugespitzt hatte sich die Lage im Jahr
1847 : In seinem Bericht konstatierte der Linzer Polizeidirektor einen breiten »Un-
mut« in den Unterschichten ; es habe »Drohbriefe« an den Magistrat gegeben, die die
obrigkeitliche Untätigkeit kritisiert hätten und die »in den Gassen verstreut« worden
99 Abel, Massenarmut, 377 – 380 ; Hecht, Handeln, 136 – 141 ; Schanbacher, Vulnerabilität, 120f.
100 LZ, 10.5.1847, 296 ; ebd., 29.11.1847.
101 Marx, Ende, 738 ; LZ, 9.6.1847 ; ebd., 29.12.1848 ; AStL, HS 1129 (Sitzungsprotokolle des Gemeinde-
ausschusses 1848), fol. 15a, 74a u. 74b ; vgl. Abel, Massenarmut, 381 – 384.
102 Abel, Massenarmut, 370 – 377 u. 384 – 387.
103 Sandgruber, Anfänge, 324.
104 Vgl. Hecht, Handeln, 135.
105 Marx, Ende, 504 – 506.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Titel
- Transformationen städtischer Umwelt
- Untertitel
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Autor
- Georg Stöger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 368
- Schlagwörter
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364