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ergänzt werden, als das Lager möglicherweise nie
fertiggestellt worden war68.
In Zusammenhang mit der vorwiegend auf Ausle-
gung der Schriftquellen beruhenden Diskussion
um den Zeitpunkt der germanischen Invasion ist
abschließend darauf hinzuweisen, dass eine exakte
Eingrenzung der archäologischen Datierung des
vorliegenden Brandhorizontes in Flavia Solva-
Wagna auf ein Jahr anhand der archäologischen
Quellen, die für die Datierung zur Verfügung stehen,
nicht möglich ist. Die im Kapitel »Chronologie« dis-
kutierte und vorgeschlagene zeitliche Einordnung
des Befundes um 170 n. Chr. kann nur eine Annä-
herung an das Jahr, in dem der Brand erfolgte, sein
und schließt damit auch jenen Datierungsspielraum
mit ein, der – alle zitierten Vorschläge zur Datierung
der Invasion berücksichtigend – von 167 bis 171 n.
Chr. reicht. Grobe Zirkelschlüsse, wie etwa den Zeit-
punkt der Invasion dem Jahr 170 n. Chr. als mög-
lichem Jahr des Brandes in der Insula XLI zuord-
nen zu wollen oder die zwingende Datierung des
Brandes in der Insula XLI vom wahrscheinlichsten
Zeitrahmen der Invasion, d. h. den Jahren 167, 168,
169, 170 oder 171 n. Chr., ableiten zu wollen, sind
im vorliegenden Zusammenhang strikt zu vermei-
den und können weder zur Klärung des Zeitpunkts
der Invasion noch zur Ermittlung einer Datierung
des Brandes beitragen. Der Brand in der Insula XLI
von Flavia Solva-Wagna mag mit gleicher Wahr-
scheinlichkeit, abgesehen von den bereits genann-
ten Jahren, auch 166 oder 172 n. Chr. stattgefunden
haben. In diesem Zusammenhang sei darauf hin-
gewiesen, dass ein Dupondius des Marc Aurel von
173 n. Chr. aus einer stratigrafisch jüngeren Pla-
nierschicht (III-) nicht nur einen terminus post quem
für die folgenden Baumaßnahmen (Bauperiode III),
sondern auch einen feinchronologischen Anhalts-
punkt für den Brandhorizont liefert (vgl. Kap. 12)69.
Das Ende des Einfalls der Markomannen und Qua-
den bis Oberitalien dürften die Angaben über die
Befreiung Pannoniens durch Ti. Claudius Pompei-
anus sowie Rätiens und Noricums durch Publius
Helvius Pertinax (SHA Pert. 2, 4
– 6) und der Bericht
über einen militärischen Erfolg (SHA Aur. 21, 10),
wohl über die von ihren Raubzügen zurückkeh-
renden Markomannen, markieren. Nach G. Alföldy
dürfen wir deshalb vielleicht davon ausgehen, dass
mit diesen Ereignissen eine mögliche germanische
Bedrohung auch für das südöstliche Noricum vorbei
war: »The worst may have been over by 171 […]«70.
68 Petrovitsch 2006, 301 f.
69 Groh 1996, 91. 124. 199 MÜ 42.
70 Alföldy 1974, 156; Gassner u. a. 2002, 160; zuletzt dazu: Ko-
vács 2009, 225 – 227. 230 – 232. 274 f. Nr. 3. 7. Nach der Besprechung der Ereignisgeschichte auf
Basis der historischen Quellen soll versucht werden
nachzuzeichnen, auf welche indirekten Konsequen-
zen wir von diesen historischen Zusammenhängen
für das südöstliche Noricum und besonders für Fla-
via Solva-Wagna vielleicht schließen dürfen. Es ist
freilich schwer zu beurteilen, wie Meldungen über
die Mobilisierung von Truppen auf römischer Seite,
d. h. die Rekrutierung der legiones II und III Italica,
oder Nachrichten über den Aufenthalt von Marc
Aurel und Lucius Verus in Aquileia oder Berichte
über die Überquerung der Donau durch germani-
sche Verbände etc. im südostnorischen Munizipium
aufgenommen wurden. Epigrafische Schriftquel-
len, die konkrete Beschlüsse oder Maßnahmen
des ordo decurionum in diesem Zusammenhang
belegen, fehlen. Auch die nichtschriftlichen archäo-
logischen Quellen können dazu wenig beitragen.
Es ist in diesem Zusammenhang etwa darauf hin-
zuweisen, dass Flavia Solva-Wagna keine Stadt-
mauer besitzt, deren Errichtung sich als mögliche
Maßnahme zur Abwehr germanischer Eindringlinge
interpretieren ließe (vgl. Kap. 8). Auch eine Häu-
fung von Hortfunden antoninischer Zeitstellung lässt
sich für das Munizipium nicht konstatieren. Diese
Umstände wären zu berücksichtigen, wenn wir ver-
suchen wollen, eine gewisse Verunsicherung inner-
halb der Bevölkerung zu rekonstruieren. Wo diese
Beunruhigung auf einer Skala zwischen Verwirrung
und Alarmierung einzustufen wäre, lässt sich nach
der vorliegenden Quellenlage kaum determinie-
ren. Jedenfalls müssen wir beim derzeitigen For-
schungsstand wohl davon ausgehen, dass eine
vielleicht gegebene Verunsicherung offenbar keine
fortifikatorischen Maßnahmen nach sich zog, was
andere Vorkehrungen, die sich im archäologischen
Befund kaum abzeichnen, z. B. die Evakuierung der
Bevölkerung und Ähnliches, nicht ausschließt. Ein
Erschwernisfaktor hinsichtlich dieser Überlegungen
ist, dass wir nicht wissen, welche Informationen und
wie detailliert diese etwa dem ordo decurionum von
Flavia Solva zur Beurteilung der Lage zur Verfügung
standen. Ferner müssen wir wohl davon ausgehen,
dass diese Nachrichten auf römischer Seite einem
gewissen Filter unterworfen waren, der ein vielleicht
falsches Bild vermittelte, das unter diesem Eindruck
zu falschen, schlechten oder gar keinen Entschei-
dungen geführt haben mag.
Die geografische Verlagerung der Kriegsschau-
plätze durch die römische Gegenoffensive mochte
eine gewisse Entspannung für die Lage der Zivilbe-
völkerung im südöstlichen Noricum bewirkt haben.
Die Bedrohung, die für die Bevölkerung von der
sog. antoninischen Pest als zweitem bestimmenden
Faktor der ›Reichskrise‹ ausging, blieb bestehen
(vgl. Kap. 2.2).
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321