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Die im Folgenden für die Räume in verschiedenen
Häusern der Insula XLI von Flavia Solva-Wagna
angeführten funktionalen Deutungen erfolgten weit-
gehend unter der Prämisse, dass es sich bei den mit
den entsprechenden Räumlichkeiten verknüpften
Funden um Artefakte handelt, die tatsächlich direkt
mit Aktivitäten in diesen Hausbereichen verbunden
werden dürfen. Diesem Gedanken folgend werden
von Artefakten in Kombination mit den vorliegen-
den Befunden idealisiert Aktivitäten für einen Raum
erschlossen und Hinweise auf die primäre Funktion
von Räumlichkeiten abgeleitet. In diesem Zusam-
menhang wäre von der Forschung eine striktere
Trennung zwischen Aktivitäten, wie beispielsweise
Nahrungsmittelaufbereitung und/oder -konsumation
oder verschiedener anderer handwerklicher Pro-
duktionsprozesse, einerseits und Funktionen von
Räumen, wie beispielsweise Küche oder Werkstatt,
andererseits zu fordern.
Neben dem Hinweis auf diese Grundannahme, dass
Artefakte direkte Hinweise auf Aktivitäten und Funk-
tionen ihres Auffindungsortes liefern würden, rela-
tivierende taphonomische Prozesse (vgl. Kap. 7),
ist anzumerken, dass darüber hinaus durchaus mit
einer gewissen Mobilität der Kleinfunde und deren
antiker Benutzer während Periode II/II+ bzw. unmit-
telbar vor dem Brand um 170 n. Chr. zu rechnen ist,
weshalb die Fundlage einzelner Fundstücke nicht
zwingend deren originalem Aufbewahrungsort oder
primären Nutzungskontext entsprechen muss. Die
angesprochene Mobilität der Funde gilt sowohl für
intakte Artefakte, die innerhalb eines Hauses der
Insula XLI unmittelbar vor dem Brand an einem
beliebigen Ort, der nicht mit dem Aufbewahrungsort
und/oder primären Ort der Verwendung ident sein
muss, deponiert worden sein konnten, als auch für
unbrauchbar gewordene Artefakte, die vor einer
endgültigen Entsorgung in Hausbereichen depo-
niert worden sein könnten, die nicht den eigentli-
chen Aufbewahrungs- und/oder Verwendungsorten
dieser Artefakte entsprechen müssen.
Eine andere Problematik besteht darin, dass
schwer zu beurteilen ist, inwiefern Fragmente oder
fragmentarisch erhaltene Artefakte als Repräsen-
tativ für komplette Gegenstände betrachtet werden
dürfen. Als Gradmesser kann lediglich der Erhal-
tungszustand herangezogen werden. Während
wir etwa für weitgehend erhaltene Gefäße davon
ausgehen wollen, dass diese 1.) bis unmittelbar
vor dem Brand einer Verwendung zugeführt wer-
den konnten und dass diese Verwendung 2.) einem
bestimmten Zweck gedient hat, der 3.) mit jenem
Zweck ident ist, für den das jeweilige Artefakt nach
formalen, herstellungstechnischen etc. Kriterien
vorgesehen war, könnte es sich bei vereinzelten
Fragmenten von Artefakten sowohl um Indizien für
aufgegebene oder ungleich 3. wiederverwendete als auch bis vor dem Brand gemäß 1.–3. benutze
Artefakte handeln197.
Aufgrund der Fundarmut von Haus I (Abb. 3) wäh-
rend Periode II/II+ ist eine funktionale Deutung der
Räume schwierig. Die Installation von Feuerstel-
len in den Räumen C und D erlaubt vielleicht eine
Interpretation als Küchen, Werkstätten oder Wohn-
räume.
Vom Ausgräber S. Groh wurden nach der Fundver-
gesellschaftung Räume in Haus II (Abb. 3) funktio-
nal interpretiert.
Raum E (Inventar: Abb. 14) wurde »als Küche oder
Vorratsraum […] vielleicht als Taverne […]« ange-
sprochen198. Gegen eine Interpretation als Küche
spricht, dass in Raum E kein Herd nachgewiesen
ist. Zudem dürfte es sich bei den beiden als Eisen-
messer angesprochenen Fragmenten199 Kat. 451
und Kat. 452 eher um Truhen- oder Türbeschläge
handeln (vgl. Kap. 11.1.3.3). Das Keramikgeschirr-
spektrum weist dagegen durchaus auf Nahrungs-
mittelzubereitung hin. Mit der Dreifußschüssel
Kat. 5 und den weiteren Schüsseln Kat. 20 und
26 liegen mehrere Gefäße vor, die wahrschein-
lich primär als Kochgeschirr anzusprechen sind.
Hinweise auf Vorratshaltung liegen vielleicht mit
dem großen Topf Kat. 131, dem Topf Kat. 293 und
dem Krug Kat. 49 vor. Bei den Töpfen Kat. 92 und
96 könnte es sich sowohl um Koch- als auch um
Vorratsgeschirr handeln. Tafelgeschirr ist durch
den Becher Kat. 57, die Teller Kat. 266 und 337
sowie die Schüsseln Kat. 355, 409 und 417 nach-
gewiesen. Die Belege pflanzlicher (Rispenhirse,
vgl. Kap. 11.2.3) sowie tierischer Nahrungsmittel
(Kat. 617. 665) sprechen dafür, dass in Raum E
Nahrungsmittel aufbereitet und/oder gelagert und
vermutlich verzehrt worden waren. Neben dem
vermutlich von einem Rind stammenden Rippen-
fragment mit deutlicher Hackspur liegen 64 g an
weiteren Tierresten aus Raum E vor. Darunter sind
Knochen von Rind, Schwein, Kleinwiederkäuer
sowie Hahn (bzw. Huhn [?]) nachweisbar.
Die Evidenz der Funde unter Berücksichtigung des
Fehlens eines Herdes und den eher wenigen Res-
ten von mit einiger Wahrscheinlichkeit als Kochge-
schirr zu deutenden Keramiken spricht eher für eine
funktionale Interpretation des Raumes E als Speise-
und/oder Vorratsraum. Falls diese Deutung der pri-
mären Funktion des Raumes zur Vorratshaltung
korrekt ist, wäre zu überlegen, ob es sich bei Töp-
fen der Form Schörg. 361 auch um Vorratsgefäße
handeln könnte. Immerhin liegen drei Typvertreter
(Kat. 150. 152. 156) aus Raum E vor. Im Zusam-
197 Weiterführend zu kulturellen Formationsprozessen: Schiffer
1996, 25 – 98.
198 Groh 1996, 64.
199 Groh 1996, 62.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321