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Von den Funden, die ausschließlich aus der Grube
G21 stammen, weist jedoch das Terra Sigillata-
Fragment Kat. 351 (Groh 1996, TS 70) sekundäre
Brandspuren auf. Einen deutlichen Hinweis lie-
fert schließlich der Topf Kat. 276, an dem stärkere
Brandspuren und Deformierungen, die wir plausibel
mit dem Brandereignis in Zusammenhang bringen
dürfen, nachweisbar sind. Es wäre deshalb davon
auszugehen, dass in der Grube G21, die durchaus
bereits zu einem Zeitpunkt während Periode II vor
dem Brandereignis angelegt worden sein mag, nach
dem Brand Brandschutt eingebracht wurde. Da
es keine Hinweise dafür gibt, dass die Grube G21
eigens zu diesem Zweck nach dem Brand ange-
legt wurde, dürften diese Vorgänge eher zufällig
und unsystematisch erfolgt sein. Ferner sprechen
die geringen Ausmaße der Grube G21 von ledig-
lich etwa 0,6 × 0,5 m eher für eine Installation noch
während der Nutzung von Raum E und gegen die
systematische Entsorgung von Brandschutt in die-
ser Hohlform. Nach der Menge der Scherben, die
sowohl aus Grube G21 als auch aus anderen Berei-
chen stammen und die jeweils einem Gefäß zuge-
wiesen werden können, möchte ich undeutliche
Schichtgrenzen zwischen der nutzungszeitlichen
Grubenverfüllung und dem Brandschutt als Ursache
des Phänomens ausschließen. Die Auffindung
zugehöriger Scherben in benachbarten Quadranten
und Räumen zeigt, dass die Gefäßreste nicht auf
den Bereich des Brandschutts über der Grube oder
auf Brandschutt, der in die Grube einplaniert wor-
den war, beschränkt sind.
Die vom Brand (Periode II+) betroffenen Räume von
Haus III (Abb. 3) können nach dem vorhandenen
Fundmaterial und Befunden funktional interpretiert
werden.
Die Halbfabrikate205 Kat. 672 – 673 im Umfeld der
Feuerstelle F20 erlauben vielleicht die Deutung des
Raumes M als Werkhalle eines beinverarbeitenden
Betriebes. Tafelgeschirr aus Terra Sigillata, darun-
ter zwei Schüsseln (Kat. 361 – 362) sowie ein Teller
(Kat. 637), deuten weitere Nutzungsmöglichkeiten
von Raum M an. Die Deponierung eines Schlan-
gengefäßes in Grube G27 während Periode II (d. h.,
dieses Gefäß ist nicht dem Brandschutt zuzurech-
nen) wurde als Hinweis auf Kultaktivitäten und ein
mögliches Lararium im Eingangsbereich des Hau-
ses III betrachtet206.
Die Ziegelplattenherde F18 und F19 in den Räumen
K und L sprechen dafür, dass es sich um Wohn-
räume handelt. Das Webstuhlgewicht Kat. 641207
erlaubt vielleicht, eine entsprechende Nutzung des
Raumes L anzunehmen. Das Bleifragment Kat. 650
205 Groh 1996, 67 f.
206 Groh 1996, 68. 131 – 133.
207 Groh 1996, 67. dürfen wir eventuell mit den an der Terra Sigillata-
Schüssel Kat. 411 nachgewiesenen Flickbohrungen
in Verbindung bringen.
Nach Ausweis des Spinnwirtels Kat. 424 ist auch für
den benachbarten Raum K mit Textilverarbeitung
zu rechnen. Ob nach der Beinnadel Kat. 669 und
der Doppelknopffibel Kat. 434 (Groh 1996, FI 14)
aus Raum K ein bevorzugter Aufenthalt von Frauen
und Mädchen in diesem Gebäudeteil, der vielleicht
mit den Aktivitätszonen Wohnen und Textilverar-
beitung zudem einer traditionellen Perspektive auf
geschlechtliche Rollenbilder in einem antiken Haus-
halt entsprechen würde208, zu erschließen ist, kann
lediglich zur Diskussion gestellt werden.
Haus IV (Abb. 3) weist sechs Räume auf. Raum N
(Inventar: Abb. 18) ist nach dem Fundspektrum
als Wohnraum anzusprechen. Zwei Firmalampen
Kat. 319 und 321 dürften der Beleuchtung des Rau-
mes gedient haben. Nach Ausweis des Spinnwirtels
Kat. 425 darf auch mit der Verarbeitung von Textilien
in Raum N gerechnet werden. Die Feuerstelle F33
könnte sowohl als Herd als auch als Ofen gedient
haben, weshalb auch eine Küchenfunktion des
Raumes nicht auszuschließen ist209. Tafelgeschirr
liegt durch zwei Typvertreter Drag. 37 vor (Kat. 370.
377). In Zusammenhang mit der Interpretation als
Küche ist auf die Amphorenfragmente Kat. 326
(Groh 1996, AM 6) und Kat. 625 hinzuweisen, die
vielleicht auf eine Vorratshaltung und Nutzung von
Olivenöl zu Kochzwecken bezogen werden dürfen
(vgl. Kap. 11.1.2.5).
Bei der Kniefibel Kat. 436 dürfte es sich nach der
weitgehend kompletten Erhaltung entweder um
einen Verlustfund oder um ein Schmuckstück han-
deln, das zum Zeitpunkt des Brandes in Raum N
aufbewahrt wurde. Vielleicht dürfen wir die Fibel
genauso wie die Münzen Mü 18, 26, 31, 33 und viel-
leicht den Spinnwirtel als persönlichen Besitz eines
Individuums betrachten, das Raum N bewohnte
oder sich zumindest häufig in diesem Raum aufhielt.
Herkömmlichen Deutungsmustern folgend würde
der Spinnwirtel auf eine Frau oder ein Mädchen zu
beziehen sein. Die Kniefibel spricht nicht zwingend
gegen diese Interpretation, da Kniefibeln nicht nur
als Mantelfibeln von Männern an der Schulter, son-
dern auch von Frauen als Schmuck vor der Brust
getragen wurden210. Falls sich die vier Münzen tat-
sächlich im Besitz einer einzigen Person befanden,
dürfen wir wohl von einem erwachsenen Individuum
ausgehen. Bezüglich der Fundlage der Münzen
liegt jedoch keine lokale Konzentration innerhalb
von Raum N vor, weshalb eine Aufbewahrung im
208 Deschler-Erb 2012b, 122. 124.
209 Groh 1996, 74.
210 Eine Forschungsarbeit, die sich detailliert diesem Thema wid-
men würde, ist nach wie vor ein Desiderat.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321