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auf hin, dass für diese auf Artefakten mit Trompe-
tenornamentik beruhende Erscheinung Belege aus
dem gesamten Imperium Romanum vorliegen, übte
jedoch auch grundsätzliche Kritik am Begriff ›kelti-
sche Renaissance‹649. Die mangelnde Evidenz die-
ser ›keltischen Renaissance‹ in Südostnoricum ist
nicht allein auf den Forschungs- und Publikations-
stand zurückzuführen, liegen doch mehrere umfang-
reiche Publikationen zu Fibeln und Kleinfunden aus
Buntmetall für dieses Gebiet vor650. Die Fundorte
der angegebenen Fundstücke mit vergleichbaren
durchbrochenen Trompetenmustern zeigen jedoch
auch an, dass der Verbreitungsschwerpunkt dieser
Ornamente eher an der Donau als in Südostnori-
cum liegen dürfte. Ob wir diese Evidenz auf einen
Zusammenhang mit dem Militär beziehen dürfen,
ist bei der derzeitigen Forschungslage schwer zu
beurteilen. Nach der Distribution sowohl an zivi-
len als auch militärischen Fundplätzen kann das
weitgehende Fehlen im Stadtterritorium von Flavia
Solva-Wagna jedenfalls nicht damit erklärt werden,
dass die Produktion in der Insula XLI für das an der
Donau stationierte Militär vorgesehen war und sich
deshalb keine Nachweise in der materiellen Kultur
der ›südostnorischen Zivilgesellschaft‹ finden. Viel-
leicht beruht der geringe Nachweis entsprechender
Beschläge und Fibeln in Südostnoricum auf chro-
nologischen Kriterien. Die Produktion könnte sich
einerseits auf die Werkstätte der Insula XLI und
zeitlich auf die Periode II/II+ beschränkt haben und
andererseits nach der Brandkatastrophe nicht wie-
der oder wieder, aber mit anderem Produktspekt-
rum weitergeführt worden sein. Dass insgesamt drei
Gussformen für Artefakte mit Trompetenornamentik
vorliegen, darf vielleicht – obwohl freilich einzuräu-
men ist, dass diese Materialbasis gering ist – als
Indiz dafür gewertet werden, dass es sich nicht um
eine einmalige Auftragsarbeit handelt.
Die Gusstiegel Kat. 421 –
423 entsprechen dem sog.
becherförmigen Typ651. Ein möglicher schnabelför-
miger Ausguss, wie z. B. an einem ovoiden Exem-
plar aus Carnuntum belegt652, ist nicht erhalten.
Die fehlende Bodenzone kann nach Gusstiegelfrag-
menten aus Buntmetallgießereien in Vindobona-
Wien ergänzt werden653. Vergleichbare konische
Gusstiegel wurden beispielsweise in Augusta Rau-
rica-Augst654, Iuvavum-Salzburg655 und Poetovio-
649 Reuter 2003, 22. 25 f.
650 Heymans. 1996; Heymans 1997; Kropf – Nowak 2000; Hey-
mans – Hinker 2009.
651 Drescher 1973, 58.
652 Groller 1901, Taf. 7, Abb. 4 (Legionslager, retentura).
653 Sedlmayer 1998, 22 Abb. 1, 1aM (canabae). 1bR (Zivilsied-
lung).
654 Martin 1978, 117.
655 Knauseder 2010, 188. 190. 195 Abb. 4; Lang u. a. 2012, 108
Abb. 24. Ptuj verwendet656. Als weiteres Vergleichsbeispiel
kann ein eiförmiger Gusstiegel aus dem Hortfund
von Arae Flaviae-Rottweil, dessen terminus post
quem des dritten Viertels des 2. Jahr hunderts n.
Chr. der Datierung des vorliegenden Befundes
zeitlich nahekommt, angeführt werden657. Ein grö-
ßerer Schmelztiegel ist in Augusta Raurica nach-
gewiesen658. Formal abweichende, birnenförmige
Gusstiegel stammen aus dem Vicus von Regens-
burg-Kumpfmühl659. Ein zweischaliger Aufbau des
Gefäßkörpers aus verschiedenen Tonmischungen,
wie er an eiförmigen Gusstiegeln aus Vindonissa-
Windisch festgestellt werden konnte660, liegt an den
Exemplaren aus Periode II/II+ der Insula XLI von
Flavia Solva-Wagna nicht vor. Deutlich zeichnen
sich sowohl an den Außen- und Innenseiten der vor-
liegenden Gusstiegelfragmente Spuren der Verwen-
dung ab. Ob die Gusstiegel bis zum Zeitpunkt des
Brandes der Periode II/II+ intakt und in Gebrauch
waren oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt zer-
brochen sind, ist nicht zu entscheiden.
Mit den Spinnwirteln Kat. 424 – 425 liegen zwei
nach formalen Kriterien differenzierbare Typen im
Fundmaterial vor. Während der Spinnwirtel Typ 1
Kat. 424 ein abgerundet-rechteckiges Profil auf-
weist, zeigt der Spinnwirtel Typ 2 Kat. 425 einen
abgerundet bis stumpfen dreieckigen bis ellipsen-
förmigen Querschnitt. Bei beiden Spinnwirteln han-
delt es sich um primär für das Spinnen hergestellte
Artefakte und nicht um sog. Scherbenwirtel aus
wiederverwerteten Keramikfragmenten. Die Durch-
messer der ante cocturam im Zentrum der Artefakte
angebrachten Perforierungen stimmen mit 0,8 und
0,7 cm annähernd überein, was vielleicht auf ähn-
lich dimensionierte Spindeln, die für beide Spinn-
wirteltypen geeignet waren, bezogen werden darf.
Beide Spinnwirtel sind handgeformt und dürften aus
einer gerollten Tonkugel zugeschnitten (Kat. 424)
oder plastisch geformt (Kat. 425) worden sein. Der
Spinnwirtel Kat. 425 zeigt vor allem am Rand der
Perforierung deutliche Gebrauchsspuren. Dieser
Spinnwirtel könnte wegen der gegenüber Spinnwir-
teln vergleichbar Kat. 424 größeren Schwungmasse
bevorzugt verwendet worden sein.
Die Webgewichte Kat. 426 – 427 entsprechen for-
mal dem pyramidenstumpfförmigen Typ. Etwa in
der gleichen Höhe wurde vor dem Brand im Töp-
ferofen eine Perforierung angebracht, die bei bei-
656 Šašel 1953, 311 Taf. 2, 20 (Spodnja Hajdina, etwa Mitte 1.
Jh. n. Chr.); Jevremov 1985, 426 Taf. 3, 8; Vomer Gojkovič
2008, 173 f. Abb. 2 (Spodnja Hajdina).
657 Raub 1988, 363 – 365. 375 Taf. 7, 5 – 6.
658 Furger 1998, 129 – 131 Abb. 11 – 15. (Insula 30, Horizont 4, 2.
Viertel 3. Jh. n. Chr.).
659 Faber 1994, 381 f. Abb. 63, 22 – 25 (ohne Periodisierung,
nicht stratifiziert).
660 Trachsel 1996, 34. Vgl. dazu auch: Deschler-Erb 2012, 65.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321