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einen den ›Beinstöpseln‹ ähnlichen Griff auf769. Ein
Grifffragment aus Valkenburg wurde entsprechend
gedeutet770. Ob es sich bei diesen gegenüber dem
Scharnierelement Kat. 582 vergleichbar längeren
Beinzylindern mit dekorativem Abschluss letztend-
lich um Scharnierelemente oder Nadelbüchsen
handelt, ist nach fragmentierten Exemplaren nicht
sicher zu entscheiden771.
Das Grifffragment Kat. 511 dürfte als gebrochenes
Halbfabrikat, vielleicht eines Messergriffes, anzu-
sprechen sein. Es könnte aus einer scapula oder
tibia gefertigt worden sein. Falls es sich tatsäch-
lich um einen Messergriff handelt, wäre neben der
Konstruktion als Griffangelmesser eher an eine als
Klappmesser zu denken. Formal ist das Grifffrag-
ment Kat. 511 Exemplaren aus Amsterdam, Augusta
Treverorum-Trier und Poetovio-Ptuj772 ähnlich, die
nach Eugen von Mercklin die Gestalt von Tierläufen
(Rehläufe oder Schweinsfüße) besitzen773 und des-
halb vielleicht mit der Jagd in Verbindung zu bringen
sind. Die an einer Seite des Griffes angebrachte Nut
könnte zur Aufnahme einer Griffangel oder eher der
Schneide eines Klappmessers vorgesehen gewe-
sen sein (Fototaf. 8)774. Die Anbringung einer Nut
über die Langseite des Griffes zur Aufnahme der ein-
geklappten Messerschneide wird als Kriterium zur
Identifizierung von Klappmessergriffen angeführt775.
Bezüglich der Nut ist darauf hinzuweisen, dass
diese mit 0,6 cm zwar eine geringe Tiefe aufweist,
diese allerdings ausreichend ist, das Einrasten der
Schneide eines Klappmessers zu gewährleisten.
Da eine größere Tiefe der Nut den Griff instabiler
und bruchanfälliger gemacht hätte, dürfte im Pro-
duktionsprozess keine tiefere Ausarbeitung vorge-
sehen gewesen sein. Der Klingenrücken römischer
Klappmesser kann bei eingeklappter Klinge deutlich
über den Messergriff hinausragen, wie Klappmes-
ser aus Augustodunum-Autun776, Kirchheim777 und
Gelduba-Krefeld/Gellep778 zeigen. Der am verjüng-
ten Ende des Artefakts angebrachte Absatz war
769 Verhagen 1993, 343 – 346 Abb. 2 (Mitte 1.–Mitte 2. Jh. n.
Chr.).
770 Verhagen 1993, 352 f. Nr. 15 (nach Mitte 1. Jh. n. Chr.).
771 Vgl. Fremersdorf 1940, 330 Abb. 13 (Köln). Vgl. die Rekonst-
ruktionszeichnung: Obmann 1997, 59 Abb. 7 mit der Anspra-
che als Nadelbüchse im Zusammenhang mit den vorliegen-
den Grabbefunden.
772 Mikl-Curk 1976, Taf. 27, 25.
773 von Mercklin 1940, 343 Taf. 36, 5.
774 Grundlegend: von Mercklin 1940, 339 – 352; Deschler-Erb
1998, 129 – 131. 358 f. Taf. 6 – 7, 75 – 84. Zur Handhabung
römischer Klappmesser vgl. Gottschalk 2006, 105 Abb. 1.
775 Deringer 1966, 238; Ronke 2003, 691 Anm. 5.
776 Béal 1985, 132 f.
777 Heimberg 1979, 534 – 536 Abb. 12, 2 (Grab 3, Ende 3. Jh. n.
Chr.).
778 Pirling 1989, 160 Taf. 123, 4 a–c; Taf. 135, 3 a–b (Grab 3725,
2. Hälfte 2.–Anfang 3. Jh. n. Chr.) = Pirling – Siepen 2006,
416 f. Taf. 72, 20. vielleicht für das Aufstecken einer Blechhülse als
Zwinge und zur Abdeckung des Scharniers eines
Klappmessers vorgesehen. Erhaltene Blechhülsen
auf Messergriffenden aus Grinario-Köngen illust-
rieren diese Konstruktionselemente und -weise779.
Reste einer vergleichbaren Klappmesserkonstruk-
tion mit Bronzezwinge und Eisendorn waren auf
einem Messergriff aus Carnuntum zu beobach-
ten780. Da am Griff Kat. 511 eine Bohrung für den
Nietstift, um dessen Achse die Klinge bewegbar ist,
fehlt, dürfte es sich um ein Halbfabrikat handeln.
Die Anbringung des Nietstiftes setzt eine entspre-
chende Bohrung voraus, da ein Einschlagen des
Nietstiftes ohne Bohrung den Bereich des Griffes,
der für das Aufstecken der Zwinge vorgesehen ist,
beschädigt hätte. Aus einem spätantiken Körper-
grab in Aquincum-Budapest konnte ein Klappmes-
ser mit fragmentiertem Griff und erhaltener mondsi-
chelförmiger Eisenklinge geborgen werden781. Die
Dimensionierung der komplett erhaltenen Klinge
des Messers aus Aquincum-Budapest (Klingen-
länge etwa 5 cm) stimmt gut mit den Abmessun-
gen des Grifffragments und dessen (nicht komplett
erhaltener) Nut aus der Insula XLI überein. Ein
Klappmesser aus Köln weist eine Länge von 7 cm
auf782. Ob es sich bei Klappmessern mit kurzem
Griff und entsprechend kurzer Klinge nach diesen
Kriterien vorzugsweise um Rasiermesser handelt,
wie nach Funden aus Augusta Raurica-Augst kons-
tatiert wurde783, ist fraglich. In dem erwähnten Grab
in Aquincum-Budapest war jedenfalls eine 20 – 29
Jahre alte Frau bestattet784. Auch das Klappmesser
aus Kirchheim stammt aus einem Frauengrab785.
Bei einem Messergriff aus Brigetio-Komárno könnte
es sich um einen Klappmesserbestandteil han-
deln786. An einem relativ gut erhaltenen Klappmes-
ser aus der Colonia Ulpia Traiana-Xanten ist eine
Konstruktion mit eiserner sichelförmiger Klinge und
einem Beingriff, der entsprechende Ausnehmungen
für eine aufgesteckte Bronzezwinge und einen mit
zwei Nietstiften befestigten pilzförmigen Bronzebe-
schlag aufweist, zu beobachten787.
779 Rüsch 1981, 541 – 543 Abb. 1 – 2.
780 Noll 1937, 20 – 22 Abb. 7.
781 Lassányi – Vámos 2011, 152 Abb. 5, 6; 156 (Grab 788, Ende
3.–Anfang 4. Jh. n. Chr.).
782 Fremersdorf 1926, 291 f. Abb. 1, 11 (Klappmesser aus Eisen
mit Beingriff, Brandgrab VI/VII, um 200 n. Chr.). Ristow 1967,
231.
783 Riha 1986, 28.
784 Lassányi – Vámos 2011, 150.
785 Heimberg 1979, 534 – 536 Abb. 12, 2 (Grab 3, Ende 3. Jh. n.
Chr.).
786 Biró 1987a, 171 Abb. 11, 52 (ohne Angaben zur Konstrukti-
on).
787 Artner 1994, 27 – 29 Abb. 13; 65 Taf. 1, 4 (Grab 1, Ende 1.–
Anfang 2. Jh. n. Chr.); 66 Taf. 3, 2 (Grab 6, Ende 1.–2. Jh. n.
Chr.); 66 f. Taf. 4, 8 (Grab 7a, Ende 1.–Anfang 2. Jh. n. Chr.).
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321