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intarsien mit Kreisaugendekor, die von einem Käst-
chen stammen, sind in Intercisa-Dunaújváros798 und
Nida-Frankfurt/Heddernheim799 nachgewiesen800.
Ähnliche Kästchenteile stammen aus Virunum-Zoll-
feld801. Vielleicht dürfen auch verschiedene »chest
fittings« oder »bone plaques« aus Pompeji als Ver-
gleiche herangezogen werden802.
An sämtlichen besser erhaltenen rechteckigen Plat-
ten ist alternierend an den Schmalseiten eine einfa-
che Eckblattung vorhanden. Charakteristische Zap-
fen zur Konstruktion eines Scharniers fehlen jedoch,
weshalb eine Funktion der Platten als Klappdeckel
eher auszuschließen ist. Bohrungen zur Anbrin-
gung, z. B. auf einem Holzelement, durch Vernie-
tung mit Metall- oder Beinstiften sind an den Platten
nicht nachgewiesen. Vielleicht ist deshalb von einer
Anbringung oder Verbindung durch Verleimung
auszugehen. Bemerkenswert ist die – sofern beide
Schmalseiten erhalten sind – ersichtliche, stets
alternierend angebrachte Eckblattung. Es dürfte
sich deshalb nicht um eine ›Feder‹ oder Schiene, die
vergleichbar rechteckigen Kästchen803 mit Schiebe-
deckel in einer Nut Aufnahme findet, sondern um
ein anderes Verbindungselement zwischen (Käst-
chen-[?])Bestandteilen handeln. Die Eckblattungen
ermöglichen sowohl Eckverbindungen in einem
90°-Winkel als auch gerade ›Verlängerungen‹ durch
Verbindung einzelner Platten. Da sämtliche Platten
durch die Hitzeeinwirkung des vorliegenden Brand-
befundes kalziniert und verzogen sind, ist schwer zu
entscheiden, ob ausschließlich eine der beschrie-
benen Verbindungen genutzt wurde. Eine Zusam-
menstellung von Platten als Eckverbindung oder
gerader Verlängerung zeigt jedenfalls, dass beide
Verbindungen grundsätzlich möglich sind. Eher bei
Eckverbindungen sind geringfügige Differenzen
der Stoßflächen zu beobachten, die jedoch einer-
seits auf die thermische Verformung des Materials
zurückzuführen sein dürften, andererseits auch vom
antiken Handwerker leicht durch wenig Füllmaterial
(Dichtungsmasse, Leim etc.) ausgeglichen werden
konnten.
Auffallend sind im Fundmaterial die aus Metapodien
von Rindern angefertigten, quader- bis stabförmigen
Halbfabrikate Kat. 542 – 547. Diese weisen an den
breiten und schmalen Langseiten parallele Grate
auf, die vom Einsatz einer Raspel oder vielleicht
eines gezahnten Meißels, Zahneisen etc. stammen
könnten. Die Schmalseiten sind dagegen abgesägt
worden und korrespondieren dadurch mit der gene-
798 Alföldi 1957, 487 f. Nr. 34. 40 Taf. 34, 1 – 2.
799 Obmann 1997, 60 f. 226 Taf. 14.
800 Biró 2009, 65 Abb. 1, 1; Vass 2009, 84. 87.
801 Gostenčnik 2006, 51 – 53 Taf. 3, 30 – 31.
802 Allison 2006, 57 Taf. 7, 4; 100 Nr. 510 Taf. 36, 5; 176 Nr.
1205 – 1206 Taf. 80, 1 – 2.
803 Deschler-Erb 1998, 180. 398 Taf. 46. rell zu beobachtenden Tendenz, die Epiphysen von
der zur Weiterverarbeitung heranzuziehenden Dia-
physe durch Absägen zu trennen (vgl. Kap. 13.1.2).
Aus den vorliegenden Halbfabrikaten konnten
grundsätzlich verschiedene Produkte erzeugt wer-
den. Dass mehrere Stücke aus Raum Q in Haus IV
vorliegen, spricht vielleicht dafür, dass diese Halb-
fabrikate quasi auf Vorrat zur späteren Weiterverar-
beitung erzeugt worden waren (vgl. Kap. 10).
Bei den Artefakten Kat. 548 – 563 handelt es sich
um Abfallstücke oder Halbfabrikate der Leisten und
der Verkleidungsplattenproduktion. Zur Herstellung
wurden vor allem Langknochen und Schulterblätter
von Rindern herangezogen. Einige Stücke könnten
auch für die Herstellung von Beinnadeln oder -stili
etc. vorgesehen gewesen sein. Während die lang-
rechteckigen Stücke Kat. 550 – 551 vielleicht eher
mit der Produktion von Leisten wie Kat. 516 – 527
in Verbindung gebracht werden dürfen, könnten die
breiteren Stücke Kat. 549, 554 – 555 mit der Pro-
duktion von Verkleidungsplatten wie Kat. 530 – 537
in Zusammenhang stehen. Ein dem Beinartefakt
Kat. 563 vergleichbares »Werkstück« ist in Sarmi-
zegetusa804 nachgewiesen.
Für länglichere bearbeitete Beinstreifen wie
Kat. 551, 553 und 558 ist schließlich eine Verbin-
dung mit der Nadelproduktion zu erwägen (vgl.
Kap. 13.1.2).
Von den bereits behandelten Platten und Leisten
sind verschiedene fragliche Verkleidungsplatten
(Kat. 564 – 571), die durch eine wesentlich gerin-
gere Wandstärke gekennzeichnet sind, zu unter-
scheiden. Von diesen weisen Kat. 567, 570 und
571 grobe Bearbeitungsspuren, vermutlich von
einer Raspel, auf (vgl. Kap. 13.1.2). Zur Herstellung
wurden besonders Rinderknochen (Rippen, Schul-
terblätter) herangezogen. Das Artefakt Kat. 569
besteht aus Horn.
Die annähernd rautenförmigen Leisten
Kat. 564 – 565 könnten als Dekorelemente zur Ver-
kleidung eines Kästchens anzusprechen sein,
wie die Rekonstruktion eines vermutlich spätan-
tiken Kästchens mit Beinintarsien aus Intercisa-
Dunaújváros nahelegt805.
Mit Kat. 572 – 575 liegen im Fundmaterial Stücke
vor, die als Stäbe (Kat. 572 – 573) oder (Stab-[?])
Fragmente (Kat. 574 – 575) angesprochen werden.
Zur Produktion wurden offenbar primär Schulter-
blätter von Rindern verwendet. Während es sich
bei den Fragmenten auch plausibel um Abfall han-
deln kann, wäre die Funktion der beiden Stäbe von
jeweils über 6 cm Länge zu diskutieren. Dass es
sich um Rohlinge von Nadeln handelt, möchte ich
804 Alicu – Nemeş 1982, 355. 363 Taf. 7, 1.
805 Gáspár 1997, 76 Nr. 2124 Taf. 35 (Erdgrab 322, Ende 4.
Jh. n. Chr. [?]).
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321