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wegen der geringen Dicke von weniger als 0,5 cm
ausschließen. Eine Funktion als Möbelbestand-
teile ist nicht auszuschließen, mangels Parallelen
jedoch auch nicht zu bestätigen. Ein vergleichbares
Geweihstäbchen ist am Magdalensberg nachgewie-
sen806.
Die beiden Fragmente Kat. 576 – 577 dürfen viel-
leicht mit einer Erzeugung von Beinkämmen807 oder
deren Bestandteilen in Zusammenhang gebracht
werden. Zur Produktion dürften Rinderknochen (Rip-
pen, Schulterblätter) herangezogen worden sein. Für
eine Verwendung als Kammsegment spricht, dass
die ›gezahnten‹ Schmalseiten im Fall von Kat. 577
gegenüberliegen, so wie es für zweizeilige Kämme
charakteristisch ist. Die Zinken wären jeweils abge-
brochen. Die vorgerissene Linie (Kat. 577) oder
Rille (Kat. 576) könnte als Orientierungshilfe des
Handwerkers die Position der Kammzinken andeu-
ten. Dazu ist allerdings zu bemerken, dass beide
Artefakte lediglich eine solche Linie oder Rille auf-
weisen. Außerdem ist die Rille bei Kat. 576 relativ
tief. Vielleicht handelt es sich um Abfallstücke einer
Kammproduktion oder es ist vielleicht auch an die
Erzeugung von Stäbchen und Leisten vergleichbar
Kat. 572 – 573 zu denken. Da die als abgebrochene
Kammzinken angesprochenen Partien nicht mit den
Dimensionen des vorgeschnittenen Stäbchens am
Fragment Kat. 576 übereinstimmen, darf vielleicht
an eine ursprünglich nicht beabsichtigte ›sekun-
däre Verwertung‹ von Abfallstücken der Kammpro-
duktion gedacht werden. Vielleicht waren während
des Produktionsprozesses zur Kammerzeugung,
konkret des Produktionsschrittes des Aussägens
der Zinken, mehrere Zinken abgebrochen, weshalb
das Halbfabrikat zur weiteren Verwendung im Rah-
men der Herstellung von zweizeiligen Kämmen aus-
geschieden wurde. Um das verworfene Halbfabrikat
wieder in den Produktionsprozess zur Herstellung
eines anderen Endprodukts (wie z. B. der Stäb-
chen) eingliedern zu können (vgl. Abb. 36), mussten
sämtliche noch intakte Kammzinken abgebrochen
oder abgeschnitten werden. Entsprechende Splitter,
die diese Rekonstruktion bestätigen würden, fehlen
allerdings im vorliegenden Fundmaterial.
Zur Herstellung könnten Rippen oder (vielleicht
eher) Schulterblätter herangezogen worden sein.
Das Beinartefakt Kat. 578 zeigt sorgfältige Bear-
beitungsspuren. Die festzustellende polierte Ober-
fläche weist darauf hin, dass das Stück bezüglich
der Produktionsschritte eher am Ende der Produk-
tionskette anzusiedeln ist (vgl. Kap. 13.1.2). Das
Artefakt könnte mit der glatt gearbeiteten (Innen-[?])
Seite auf einem entsprechend planen Element, z. B.
806 Gostenčnik 2005, 542 Taf. 69, 7.
807 Vallet 1994, 125 f. Abb. 36. aus Bein oder Holz, befestigt gewesen oder für eine
entsprechende Anbringung vorbereitet worden sein.
Die wahrscheinliche Außenseite zeigt eine deutli-
che Profilierung. Auch bei diesem Artefakt ist keine
nähere funktionale Zuweisung als ›Möbelbestand-
teil‹ im weitesten Sinne zu treffen.
Das Beinartefakt Kat. 579 wird am Fundzettel der
entsprechenden FNr. 892030 als möglicher »Fuß
einer Puppe« angesprochen. Die Ähnlichkeit mit
Fußteilen römerzeitlicher Gliederpuppen ist jedoch
eher gering808. Zur Fertigung des Artefakts dürfte
der Langknochen eines Rindes verwendet worden
sein.
Die vermutlich von Rindern stammenden, bearbei-
teten Langknochen Kat. 580 – 581 weisen entlang
der Querachse Sägespuren auf, die auf die Vorbe-
reitung von Langknochen durch Absägen der Epi-
physen hinweisen. Die zugesägten Diaphysenstü-
cke konnten durch Spaltung entlang der Längsachse
zur Nadelproduktion und/oder Gewinnung von
Rohlingen wie Kat. 542 – 547 herangezogen oder
durch weiteres Zusägen entlang der Querachse zu
Scharnierelementen wie möglicherweise Kat. 582
verarbeitet werden (vgl. Kap. 13.1.2). Bei dem zylin-
drisch zugesägten Stück Kat. 582 könnte es sich
um das Halbfabrikat eines Scharnierelements809
handeln, wie ähnliche Stücke aus Augusta Raurica-
Augst810, Escolives-Sainte-Camille811, Lemonum-
Poitiers812, Lugdunum-Lyon (?)813, Nida-Frankfurt/
Heddernheim814, Nîmes815, Ovilavis-Wels816, Sir-
mium-Sremska Mitrovica817,Trient818 und Wroxe-
ter819, die entsprechend gedeutet wurden, nahele-
gen820. Das Artefakt wurde aus dem Röhrenknochen
(metatarsus) eines Rindes gefertigt. Nach der Klas-
sifizierung von Scharnierelementen aus Augusta
Raurica-Augst durch S. Deschler-Erb könnte das
Artefakt Kat. 582 den sog. »Kurzscharnieren ohne
808 Degen 1997, 15 – 38.
809 Grundlegend zur Konstruktion: Fremersdorf 1940, 321 – 337;
Pelletier 1971, 202 – 207; Vallet 1994, 110 – 113 (Sierentz).
810 Deschler-Erb 1998, 182 – 189. 398 f. Taf. 46 – 47. Diese waren
aber wahrscheinlich nicht in Augusta Raurica-Augst oder zu-
mindest nicht aus Knochen der lokalen Tierhaltung gefertigt
worden. Deschler-Erb 1998, 284.
811 Prost 1993, 287 Taf. 6, 72 – 74 (4. Jh. n. Chr.).
812 Bertrand 2008a, 111 Abb. 14 (»Éléments de charnière non
perforés«).
813 Béal 1983, 101 – 126 Taf. 22.
814 Obmann 1997, 57 – 60. 219 – 220 Taf. 7 – 8.
815 Béal 1984, 25 – 32 Taf. 4.
816 Gostenčnik – Lang 2010, 211 Abb. 4, O25.
817 Šaranović-Svetek 1981, 169 Taf. 4, 1.
818 Bassi 1995, 47 – 50 Abb. 1, 19.
819 Mould – Webster – Lloyd-Morgan 2000, 127 f. Abb. 4, 24 – 25;
133 Nr. 243. 246. 247.
820 Grundlegend: Fremersdorf 1940, 321 – 337 (Augusta Trever-
orum-Trier, Mogontiacum-Mainz, Pompeji, Vindonissa-Win-
disch).
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321