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Loch« zuzurechnen sein821. Diese stammen in
Augusta Raurica-Augst vorwiegend aus Fundkom-
plexen des 1. Jahr hunderts n. Chr.822. Da es sich
bei dem aus Flavia Solva-Wagna vorliegenden
Artefakt um ein Halbfabrikat handeln dürfte, könnte
dessen Deponierung jedoch vor der Bohrung eines
Loches erfolgt sein. Für Scharnierelemente aus
Bein wurde ein zeitlicher Schwerpunkt während
der zweiten Hälfte des 2. Jahr hunderts n. Chr. vor-
geschlagen823. Gegen eine zeitliche Eingrenzung
auf das 2. Jahr hundert n. Chr. sprechen die Nach-
weise in Pompeji824 und Vindonissa-Windisch825.
S. Deschler-Erb gibt dagegen eine »Blütezeit« von
der zweiten Hälfte des 1. bis in die erste Hälfte des
2. Jahr hunderts n. Chr. an826. Die Konstruktion des
Scharniers konnte in Komposittechnik mit Holzele-
menten ausgeführt gewesen sein (vgl. Kap. 13)827.
Die entlang der Querachse abgesägte Epiphyse
Kat. 583 belegt den entsprechenden herkömmli-
chen vorbereitenden Produktionsschritt zur Weiter-
verarbeitung von Langknochen (vgl. Kap. 13.1.2).
Das aus einem Langknochen gefertigte Artefakt
Kat. 584 weist deutliche Sägespuren entlang der
Querachse auf. Die partielle grünliche Färbung ist
auf den Kontakt zu Kupferlegierungen, vermutlich
während der Bodenlagerung, zurückzuführen. Eine
intentionale Färbung, wie sie für Beinartefakte aus
Augusta Raurica-Augst in Betracht gezogen wurde,
lässt sich nach diesem singulären Nachweis nicht
konstatieren (vgl. Kap. 13.1.2)828. Bemerkenswert
ist das aus dem Langknochen eines Rindes gear-
beitete Artefakt Kat. 585, das gesägte und geschlif-
fene Schmalseiten aufweist.
Das Artefakt Kat. 586 wurde ebenfalls aus dem
Langknochen eines Rindes gefertigt. Auffallend ist
die glatt bearbeitete (Rück-[?])Seite, die vielleicht
zur Anbringung auf einem entsprechend planen
Element vorgesehen war. Nicht nur Mobiliarver-
kleidung, sondern auch eine Verwendung als Griff-
platte, z. B. eines Messers, könnte in Betracht zu
ziehen sein. Die auf der anderen Seite der Platte
verlaufende Rille ist natürlichen Ursprungs und
könnte in weiteren, noch auszuarbeitenden Dekor
integriert worden sein.
Die beiden Schulterblätter von Rindern Kat. 587 –
588 weisen entsprechende Sägespuren entlang der
821 Deschler-Erb 1998, 182.
822 Deschler-Erb 1998, 186.
823 Hupperetz 1991, 20 f. Abb. 4; Obmann 1997, 60.
824 Mastroroberto 2003, 125 Abb. A14 – A15; Allison 2006,
30. 71 Nr. 249 Taf. 15, 11; 72 Nr. 257 Taf. 17, 2; 167 f. Nr.
1117 – 1118 Taf. 75, 4 – 5; 238 f. Nr 1818 Taf. 111, 6. Monteix
2011, 22 Abb. 11.
825 Fremersdorf 1940, 321. 326 Abb. 6 – 7.
826 Deschler-Erb 1998, 182.
827 Dewald – Eiden 1989, 324 f. Abb. 10.
828 Deschler-Erb 1998, 81 f. Abb. 142 b. Querachse auf. Zur weiteren Verarbeitung dürfte die
plane Knochenfläche der scapulae bevorzugt ver-
wendet worden sein.
Mehrere Artefakte (Kat. 589 – 608) weisen lediglich
einfache Sägespuren, die eventuell nachträglich
gefeilt wurden, auf. Die Stücke könnten nach ihrer
Fragmentierung eher als Abfallstücke anzusprechen
sein. Als Rohmaterial wurden vorwiegend Langkno-
chen und Schulterblätter von Rindern herangezo-
gen. Ähnliche charakteristische Produktionsabfall-
stücke wie Kat. 597, die auch von Röhrenknochen
von Rindern stammen, konnten aus einer römerzeit-
lichen Beinschnitzerei in Vindobona-Wien geborgen
werden829.
Unter den Tierresten liegt auch der Hornzapfen
(Kat. 609) eines Rindes mit Bearbeitungsspuren vor
(vgl. Kap. 13.1).
Verschiedene Knochen aus Insula XLI weisen Hack-
und Schnittspuren auf (Kat. 610
–
622). Hackspuren
(z. B. Kat. 615. 617
–
618) deuten den Gebrauch von
Fleischerbeilen und Hackmessern (culter [?]) zur
Fleischaufbereitung an. Schnittspuren stammen
von Messern (Kat. 611). Während Messer im vor-
liegenden Fundmaterial nachgewiesen sind (Kat.
442 – 444. 652 –
655), muss offenbleiben, ob die bei-
den als Beile beschriebenen Fundstücke (Kat. 657)
zur Aufbereitung tierischer Nahrung gedient haben
könnten. Diese Spuren sind von den Werkzeugspu-
ren, die der Beinverarbeitung zuzurechnen sind,
zu differenzieren. Primär dürfte es sich dabei um
Spuren der Produktion tierischer Nahrung handeln.
Es ist im Einzelfall nicht sicher zu entscheiden, ob
diese Spuren von der professionellen Zerlegung der
Tiere nach der Schlachtung oder von der Portionie-
rung zur Zubereitung in einem Haushalt oder der
Gastronomie stammen. Da keine Massierungen von
Knochen mit entsprechenden Spuren vorliegen, wie
sie für einen Schlachtbetrieb zu erwarten wären,
sind die Knochen mit Hack- und Schnittspuren
aus Periode II/II+ der Insula XLI von Flavia Solva-
Wagna wohl am wahrscheinlichsten als Küchenab-
fälle zu deuten.
Dass es sich bei den vorliegenden Tierknochen mit
Hack- und Schnittspuren um Überreste der Auf-
bereitung tierischer Nahrung handeln dürfte, legt
schließlich auch die Zusammensetzung dieser Tier-
reste nahe. Eine Betrachtung der Artefakte nach
Tierarten und Knochen zeigt ein differenzierteres
Bild als jenes, das sich hinsichtlich der Rohmateria-
lien, die zur Produktion von Beingegenständen her-
angezogen wurden, abzeichnet (vgl. Kap. 11.2.1).
Die vorliegenden Röhrenknochen weisen keine
eindeutigen Spuren intentioneller Zersplitterung
oder vom Zerhacken auf – Techniken, die mit der
Gewinnung von Knochenmark verknüpft werden
829 Donat u. a. 2003, 35 Abb. 30 (canabae).
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321