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len Ursprung zurückführen. Inwiefern dieser mög-
liche Mangel an Hygiene und Sauberkeit und
entsprechende Ungezieferbefall in den Häusern der
Insula XLI üblichen Lebensbedingungen in Flavia
Solva-Wagna während des ausgehenden 2. Jahr-
hunderts n. Chr. entspricht, lässt sich mangels Par-
allelen aus dem Munizipium schwer einschätzen.
Die im Kapitel 11.2.3 »Archäobotanik« angeführten
Vergleichsbeispiele von Befunden legen nahe, dass
sich die diesbezügliche Situation am westlichen
Stadtrand von Flavia Solva-Wagna durchaus in
einem in den Nordwestprovinzen üblichen Rahmen
bewegt haben mag.
Neben Tierresten, die eine Haltung von Kleinvieh
nahelegen, indiziert das Knochenfragment Kat. 623
mit Verbissspuren vielleicht Hundehaltung oder
streunende Tiere (vgl. Kap. 11.2.1).
Fassen wir die Interpretationen (kursiv) ohne den
Ballast der gleichzeitigen Diskussion oder Hinweise
auf deren unzureichende Sicherheit unter weitge-
hender Säuberung von Konjunktivformulierungen
zusammen, würde sich folgendes (freilich hypothe-
tisches) Bild der Lebensumstände während Peri-
ode II/II+ der Insula XLI von Flavia Solva-Wagna
ergeben:
In den Häusern der Insula XLI von Flavia Solva-
Wagna wohnten während der Periode II/II+ mehrere
benachbarte, vielleicht auch miteinander verwandte
Kleinfamilien. Deren Lebensgrundlage waren vor
allem handwerkliche Tätigkeiten, denen sie in ihren
Häusern nachgingen. Diese handwerklichen Tätig-
keiten wurden nicht nur separat nebeneinander,
sondern auch in Interaktion miteinander ausgeübt.
Mit einfachen Mitteln und unter Anwendung her-
kömmlicher Techniken wurden Artefakte für den täg-
lichen Gebrauch vor allem aus Bein, Horn, Holz und
Bronze erzeugt. Die Gewerbetätigkeit war auf die
Stadt, primär auf den westlichen Bereich des Muni-
zipiums beschränkt.
Die Wohnqualität in den Häusern wurde durch die
Feuerstellen und die Handwerkstätigkeit beein-
trächtigt. Neben Lärm dürfen wir besonders in
Zusammenhang mit der Buntmetallverarbeitung
von Schadstoffbelastung, in Zusammenhang mit
der Beinverarbeitung auch von Geruchsbelästigung
ausgehen. An heutigen Standards gemessene man-
gelnde Hygiene und Sauberkeit in den Häusern der
Insula XLI zogen entsprechenden Ungezieferbefall
und die damit verbundenen Schwierigkeiten der
Lagerung von Nahrungsmitteln sowie gesundheitli-
che Probleme nach sich.
Hinsichtlich des Sozialstatus ist der Personenkreis
den einkommensschwächeren, hinsichtlich des per-
sonenrechtlichen Status den peregrinen Schichten
von Flavia Solva zuzurechnen. Die Bewohner konn-
ten bis zu einem gewissen Grad lesen und schrei-
ben. Durch Haustierhaltung und Kultivierung von Nutz-
gärten konnte die Versorgung der Familien mit
pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln nicht
abgedeckt, aber der notwendige Zukauf vermindert
werden. Die Ernährungsweise war einfach, aber
ausreichend und beruhte weitestgehend auf loka-
len pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln
der Region. Der Genuss von importierten Lebens-
mitteln war auf wenige Ausnahmen (z. B. Olivenöl)
beschränkt. Zur Aufbereitung sowie besonders zum
Konsum von Nahrungsmitteln wurde jedoch auch
importiertes Geschirr verwendet.
Der Bedarf an Textilien wurde weitgehend durch
eine häusliche, auf den Eigenbedarf ausgerichtete
Weiterverarbeitung gesammelter und zugekaufter
Rohstoffe (Federn, Pflanzenfasern, Wolle) gedeckt.
Der bescheidene Wohlstand wurde durch die Hal-
tung eines Hundes vor Übergriffen geschützt.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321