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Archäologische Befunde und Funde, für die ein
Zusammenhang mit den Markomannenkriegen in
Betracht zu ziehen ist, wurden von H. W. Böhme in
einem 1977 erschienenen, hinsichtlich dieser The-
matik als grundlegend zu bezeichnendem Aufsatz
zusammengestellt und in Beziehung zueinander
gesetzt997. Der 1994 publizierte Sammelband zum
IV. Internationalen Symposium »Grundprobleme
der frühgeschichtlichen Entwicklung im nördlichen
Mitteldonaugebiet« war den Markomannenkriegen,
ihren Ursachen und Wirkungen gewidmet998. Die
Veröffentlichung trägt dem seit den 70er Jahren
fortgeschrittenen Forschungsstand Rechnung und
berücksichtigt sowohl Beiträge zur Situation in der
Germania libera, im norisch-pannonischen Limes-
vorland sowie zur Provinzialrömischen Archäologie
und Numismatik.
Den genannten Publikationen verdankt die alt-
historische, archäologische und numismatische
Forschung sowohl Überblicksarbeiten als auch
Diskussionen spezieller Fragen zum Thema.
Trotz oder vielleicht gerade wegen des als gut zu
bewertenden Forschungsstandes, der die Einbe-
ziehung zahlreicher Aspekte in Überlegungen zu
den Markomannenkriegen erlaubt, herrscht in der
Forschungslandschaft nach wie vor eine Vielfalt an
Meinungen zu allgemeinen und besonderen Fragen
im Zusammenhang mit den Markomannenkriegen.
Dies zeigt einerseits die systematische Durchsicht
des im Rahmen von Veröffentlichungen der Jahre
2002 – 2004 aktualisierten und zusammengefassten
Forschungsstandes zu den autonomen Städten in
Noricum und Pannonien999. Andererseits belegen
nicht zuletzt auch die im Kapitel 4 »Forschungsmei-
nungen« angeführten Zitate jüngeren Datums unter-
schiedliche Standpunkte zum Thema.
Speziell im Zusammenhang mit der Aufarbeitung
und Interpretation primär archäologischer Quellen
zur Thematik, d. h. Zerstörungsbefunden wie Brand-
schichten etc. aus Siedlungsgrabungen, ist ein
uneinheitliches Bild festzustellen. Auch T. Fischer
beurteilte die diesbezügliche Quellenlage für Nori-
cum als »noch weitgehend unklar«1000. Dies mag
an der häufigen Orientierung jüngerer Arbeiten
an den Ergebnissen der älteren archäologischen
Forschung und der Tendenz, neue Grabungser-
gebnisse diesem (bewährten [?]) vorgezeichneten
Schema anzupassen, liegen. Historische Schlüsse
der älteren Forschung werden erst neu diskutiert,
wenn sie im Rahmen größerer moderner Ausgra-
997 Böhme 1977, 153 – 217.
998 Friesinger u. a. 1993.
999 Šašel Kos – Scherrer 2002; Šašel Kos – Scherrer 2003;
Šašel Kos – Scherrer 2004. Zusammenfassend zu archäolo-
gischen Zeugnissen der Markomannenkriege in Noricum und
Pannonien auch: Gassner u. a. 2002, 164 f.
1000 Fischer 2002, 25. bungen keine Bestätigungen finden, wie auch das
Beispiel Flavia Solva-Wagna zeigt (vgl. Kap. 4).
Im Folgenden wurde versucht, Deutungen und
Positionen der altertumswissenschaftlichen For-
schung, besonders zum Verlauf des zunehmend
allgemein in Konsens mit A. Birley auf das Jahr
170 n. Chr. datierten Einfalls der Markomannen
und Quaden nach Oberitalien, zusammenzufas-
sen. Dieses Ereignis und die Diskussion um damit
möglicherweise zu verknüpfende archäologische
Befunde, besonders in Flavia Solva-Wagna und den
benachbarten Stadtterritorien und Provinzen, bilden
schließlich einen zentralen Themenkreis der vorlie-
genden Arbeit.
Die Auswirkungen der Markomannenkriege auf
römische Siedlungen im Bereich der Bernstein-
straße (Abb. 37 Nr. 1 – 4) werden von der Forschung
unterschiedlich bewertet. Während sich M. Kandler
kritisch zur Konstruktion von Zerstörungen durch
die Markomannen in Carnuntum äußerte1001, kon-
statierte F. Redő nach »scattered traces of bur-
ning« und »scattered finds from the Antoninus
Pius’ period« entsprechende »devastations of the
Marcommania Wars«1002 in Salla-Zalalövő1003. Die
Situation an der Bernsteinstraße während dem in
den Schriftquellen überlieferten Germaneneinfall bis
Oberitalien bewertet er insgesamt der traditionellen
althistorischen Forschungsmeinung folgend: »The
barbarian invaders invaded the province along the
Amber Route and attacked Aquileia and burned and
destroyed everything along the way.«1004 Bemer-
kenswert ist diesbezüglich auch die Münzkurve des
Munizipiums Salla-Zalalövő, die einen deutlichen
Einbruch für die antoninische Zeit verzeichnet1005.
Menschenknochen aus einer Brunnenverfüllung
in Salla-Zalalövő wurden ebenfalls mit Zerstörun-
gen der Markomannenkriege in Zusammenhang
gebracht (vgl. Kap. 10.2; 16). Fraglich bleibt aber
die Zuordnung antoninischer Sigillaten aus Zer-
störungsschichten in Savaria-Szombathely1006.
Zuletzt wurde von verschiedenen Autoren sowohl
auf Schäden (T. Buócz) als auch auf Verstärkungen
(D. Gabler) an der Stadtmauer von Savaria-Szom-
bathely aufmerksam gemacht und auf die mögliche
Verbindung dieser Befunde mit den Markomannen-
kriegen hingewiesen1007. Fortifikatorische Maßnah-
1001 Kandler 2004, 18. Kritisch auch: Müller – Zimmermann 2001,
164 (Auxiliarkastell) sowie Gassner u. a. 2002, 165. Kontro-
vers dazu: Jilek 1994, 392 – 394; Jilek 2005, 165.
1002 Redő 2003, 212.
1003 Vgl. dazu auch: Vándor 1999, 59; Redő 2005, 142.
1004 Redő 2003, 208.
1005 Redő 2005, 143 Abb. 14.
1006 Gabler 1994, 369 Abb. 3; Scherrer 2003, 54.
1007 Buócz 2002, 22. Gabler 2002b, 130. Bemerkenswert ist fer-
ner eine vor der Stadtmauer situierte Grabenverfüllung mit
Brandschutt, für die ein terminus post quem durch eine ver-
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321