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den Vorgängerbauten oder ist ein abweichendes
Bebauungsschema festzustellen?
▪ Liegen siedlungsintern weitere Daten von Zer-
störungsbefunden vor, die mit dem zu deutenden
Befund korrelierbar sind? Falls ja sind diese kri-
tisch zu prüfen.
▪ Liegen regional und überregional Daten von Zer-
störungsbefunden vor, die mit dem zu deutenden
Befund korrelierbar sind? Falls ja sind diese kri-
tisch zu prüfen.
Unter Einbeziehung dieses Fragen- und Kriterien-
katalogs sowie der vorhergehenden Diskussion
ergibt sich für das konkrete Fallbeispiel der Brand-
schuttschicht der Periode II/II+ der Insula XLI von
Flavia Solva-Wagna folgende Synthese: Eindeutige
Belege, dass kriegerische Auseinandersetzungen,
speziell ein germanischer Überfall, für den Brand-
befund der Periode II/II+ der Insula XLI verantwort-
lich zu machen sind, fehlen im vorliegenden Befund.
Andererseits kann eine kriegerische Auseinander-
setzung als Ursache des diskutierten Befundes
nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Insgesamt
erscheint beim derzeitigen Forschungsstand jene
Argumentationskette, die für ein Schadensfeuer
und gegen eine Brandursache durch Brandschat-
zung spricht (zu den Begriffen vgl. Kap. 6) plausi-
bler, weshalb diese Interpretation nach meiner Mei-
nung bei derzeitigem Kenntnisstand zu favorisieren
ist. Primär ausschlaggebend für diese Beurteilung
ist einerseits die brandsensible Holz-Fachwerk-
Architektur in Kombination mit zahlreichen Feuer-
stellen (Abb. 13) und andererseits das Fehlen von
menschlichem Skelettmaterial und von Militaria im
Fundspektrum1133.
Mit archäologischen Methoden sind letztlich primär
die Auswirkungen1134 eines Ereignisses zu dokumen-
tieren und festzustellen. Der vorliegende Fall ist ein
Musterbeispiel dafür, dass zwar ein Ereignis (E),
nämlich ein Brand, als unmittelbare Ursache der
Genese des vorliegenden archäologischen Befundes
als plausibles Faktum1135 aus demselben abzuleiten
ist. Jenes Ereignis (E‘), das zum Brand (E) führte,
quasi die Ursache (E‘), deren Folge oder Wirkung (E)
durch den Befund belegt wird, ist allerdings nicht
mehr eindeutig nachzuvollziehen und lediglich zu dis-
1133 E. Deschler-Erb stellt zur diffizilen Thematik fest: » […] die
unbeabsichtigten Zerstörungen sind von beabsichtigten ei-
gentlich nicht zu trennen. Dazu kommt, dass Archäologen
häufig dazu neigen, hinter jedem Zerstörungshorizont einen
›höheren‹ Sinn und eine Verbindung mit irgendwelchen his-
torisch belegten Ereignissen (kriegerischen Handlungen) zu
suchen.« Deschler-Erb 2005, 44.
1134 »Die Wirkung ist offenbar, die Ursachen sind dagegen ver-
borgen. Die Wirkungen muß kennen, wer nach den Ursachen
suchen will.« Goertz 1995, 119.
1135 »Es kann also nicht nichts geschehen sein.« Goertz 1995, 96. kutieren1136. Das primär zur Genese eines Befundes
führende Ereignis (E) benennen zu können, kann
lediglich Basis für eine weitere Interpretation damit
zusammen
hängender möglicher ur sächlicher Ereig-
nisse (E‘, E‘‘ etc.) sein1137, macht keines dieser aber
wahrscheinlicher1138. Die Frage nach dem, »was pas-
siert ist«, lässt sich plausibel beantworten (ein Brand),
bezüglich der Frage »warum«, lassen sich lediglich
verschiedene mögliche Erklärungen (Schadens
feuer,
Überfall etc.) anführen, ohne Zusammenhänge nach-
weisen zu können, die den Brand eindeutig auf eines
dieser vorgeschlagenen Erklärungs
modelle zurück-
führen1139.
1136 Vgl. Überlegungen zur Relation zwischen Ereignis und Ursa-
che: Danto 1987, 31. 41.
1137 Vgl. Goertz 1995, 121.
1138 Weiterführend zur Ursache von Ereignissen und zur Differen-
zierung zwischen »rationalen und zufälligen Ursachen« in der
Geschichte: Carr 1963, 87 – 89. 105.
1139 Zur positivistischen Auffassung der historischen Erklärung:
Lorenz 1997, 65 f. 193.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321