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leisten vermögen1157, schmälert nicht ihr Gewicht
bezüglich anderer Fragestellungen.
Andererseits ist in Zusammenhang mit dem vorlie-
genden Fallbeispiel auch festzustellen, dass sich
archäologische Quellen und Schriftquellen nicht
widersprechen1158. Das heißt wiederum, dass es
nicht möglich ist, einen Zusammenhang zwischen
dem Brandbefund der Periode II/II+ der Insula XLI
von Flavia Solva-Wagna und der Ereignisgeschichte
der Markomannenkriege stringent auszuschließen.
Die Auswertung der vorliegenden Befunde und des
Fundmaterials widerspricht der Theorie, »Flavia
Solva wurde um 170 n. Chr. am westlichen Stadt-
rand von einer Gruppe Markomannen gebrand-
schatzt« nicht, bestätigt diese allerdings auch nicht.
Die Ursachen für dieses ambivalente Verhältnis der
Ergebnisse zur zentralen historischen Fragestel-
lung liegt in der zur Auswertung herangezogenen
Datengrundlage, die hinsichtlich der konkreten The-
orie lediglich einen geringen Überprüfbarkeitsgrad
aufweist. Spezifische Befunde und Funde (Ske-
lettreste mit Kampfspuren, germanische Militaria),
die eine tiefergehende Diskussion der Theorie am
vorliegenden Fallbeispiel erlauben würden, fehlen
(vgl. Kap. 16). Andererseits ist es im vorliegenden
Zusammenhang auch nicht möglich, die Tatsache,
dass letztere Theorie nach der vorhandenen Daten-
grundlage nicht zwingend falsifiziert werden konnte,
als Bestätigung der Theorie aufzufassen1159.
Eine weitere Annäherung der Diskussion an die auf-
gestellte Theorie ist also von archäologischer Seite
nur unter Einbeziehung weiterer, hinsichtlich der
konkreten Fragestellung aussagekräftigerer Daten
möglich. Damit endet auch diese archäologische
Diskussion vorerst nolens volens trivialisiert in Beru-
fung auf den im konkreten Fall als unzureichend
empfundenen Forschungsstand.
Ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Ein-
fall der Markomannen und Quaden in Oberitalien
und dem südostnorischen Munizipium beruht also
lediglich auf indirekten Schlussfolgerungen. Die
Lage der Städte Aquileia und Opitergium-Oderzo,
die nach Aussage der Schriftquellen vom Einfall der
Markomannen und Quaden betroffen waren, legt
nahe, dass die Germanen die Bernsteinstraße als
Einfallsroute benutzt hatten. In diese Hypothese
werden nun Siedlungen im Einzugsgebiet der Bern-
steinstraße integriert, für die wegen ihrer Lage eine
germanische Bedrohung als wahrscheinlich erach-
tet wird. In Siedlungen an der Bernsteinstraße und
in deren Hinterland aufgedeckte archäologische
1157 Vgl. Überlegungen zum Verhältnis von Ereignis und Struktur
bei: Koselleck 1987, 184 f. Präzisiert bei Winch 1987, 293:
»[…], daß nämlich weder die Ereignisse hinreichend durch
Strukturen erklärt werden können noch vice versa, […].«
1158 Vgl. Eggers 2006, 272.
1159 Vgl. Popper 2005, 253. Befunde, die von der archäologischen Forschung
als Auswirkungen von Brandereignissen interpre-
tiert und mit archäologischen Methoden in den
Zeitraum der Markomannenkriege datiert wurden,
werden als komplementär zu den Schriftquellen und
dem aus diesen rekonstruierten historischen Ver-
lauf betrachtet. Der beschriebene Verlauf erscheint
grundsätzlich plausibel, es ist jedoch festzuhalten,
dass für die vorliegende Fallstudie im Rahmen die-
ser Arbeit keine Indizien herausgearbeitet werden
konnten, die diese Annahmen eindeutig widerlegen
oder bestätigen würden.
Ebenso ist es bei der derzeitigen Quellenlage
schwierig zu entscheiden, ob oder inwiefern Fla-
via Solva-Wagna in antoninischer Zeit von der sog.
antoninischen Pest betroffen war. Der Versuch einer
Einschätzung kann über einen Analogieschluss
unter Heranziehung der diesbezüglich etwas bes-
seren Quellenlage des benachbarten Munizipiums
Virunum-Zollfeld erfolgen. Für Flavia Solva-Wagna
könnte deshalb zumindest mit vergleichbaren Aus-
wirkungen gerechnet werden (vgl. Kap. 2).
M. K. H. Eggert führt in Anlehnung an J. Rüsen1160
die Möglichkeiten einer hermeneutischen und einer
analytischen Vorgehensweise bei der historischen
Deutung an, räumt jedoch auch ein, dass in Zusam-
menhang mit deren Anwendung in der Archäolo-
gie zu hinterfragen wäre, inwiefern diese auf die
Archäologie umgelegt werden können1161. Eine
Fachrichtung wie die Provinzialrömische Archäolo-
gie, die über eine schriftliche Parallelüberlieferung
verfügt, besitzt hinsichtlich der erfolgreichen Anwen-
dung dieser Methoden wohl zumindest eine gewisse
Grundvoraussetzung. In Folge wäre in Zusammen-
hang mit dem gegenständlichen Fallbeispiel zu ver-
suchen, beispielsweise mithilfe der Schriftquellen
humanzeitliche Sinnzusammenhänge menschlicher
Aktionen und Interaktionen herzustellen sowie die
naturzeitlichen Rahmenbedingungen abzuleiten.
Für die Markomannenkriege ließen sich nach dem
hermeneutischen Forschungsansatz verschiedene
mögliche Sinnzusammenhänge aus den Absichten
der historischen Akteure rekonstruieren. Die Dis-
kussion um den Zeitpunkt der Einrichtung der prae-
tentura Italiae et Alpium vor oder nach dem Einfall
der Markomannen und Quaden bis Oberitalien (vgl.
Kap. 2) und die damit verbundenen prosopografi-
schen Kriterien und sonstigen Überlegungen zur
Rekonstruktion des zeitlichen Ablaufs dieser Ereig-
nisse dürfen vielleicht als Beispiel angeführt wer-
den.
Nach der analytischen Vorgehensweise wären ver-
schiedene Faktoren, die ein strukturelles Wirkungs-
gefüge oder Wirkungszusammenhänge beeinflus-
sen, herauszuarbeiten. Als Beispiel sei angeführt,
1160 Zu Rüsens Historik: Goertz 1995, 67 – 73.
1161 Eggert 2006, 209 f.; vgl. Rüsen 1986, 100 f. 119 – 135.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321