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Kaiserin und Reich: Einleitung 13
von Vormundschaft, Regentschaft oder weiblicher Erbfolge als dynastischer „Unfall“ oder
„Zufall“ thematisiert18 und jeweils auch nur als Einzelfall untersucht. Und wenn die ältere
Forschung die Anwesenheit von Fürstinnen bei Reichsversammlungen bemerkte, eben
feststellte, um auf die oben formulierte Frage zurückzukommen, dass der Kaiser eine Frau
dabeihatte, dann konstatierte man das eher überrascht. Ein gutes Beispiel dafür ist eine
Darstellung zum Kurfürstentag 1636, in der der Autor festhielt: „Um das persönliche Wohl
des kranken Gemahls und Vaters bemühten sich die Kaiserin Eleonora und die Erzherzo-
gin Cäcilia Renata, die mit Ferdinand II. nach Regensburg gereist waren.“19
Aber es war zweifellos nicht allein die Sorge um die kaiserliche Wärmflasche, die dazu
führte, dass Ferdinand II. 1636 (wie schon 1623 und 1630) von seiner Gemahlin ins Reich
begleitet wurde. Eine wachsende Zahl von Arbeiten über Fürstinnen des Heiligen Römi-
schen Reiches20 zeigt vielmehr, dass es deutlich in die Irre führt, Fürstinnen in ihrem Han-
deln auf einen engen, privat-familiär gedachten Bereich zu beschränken. Dabei war es für
die Erkenntnis, dass gerade Frauen des „Herrschaftsstandes“, also adliger und fürstlicher
Familien, in der Frühen Neuzeit politische Aufgaben übernahmen, nicht nur notwendig,
in den Quellen nach Beispielen wie den oben angeführten Ausschau zu halten. Vielmehr
ist es für einen veränderten Zugang zu fürstlicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit, der
eine Neubewertung des Agierens von Fürstinnen erlaubt, notwendig, ein zeitgenössischen
Vorstellungen adäquateres Verständnis von Politik und ihres Funktionierens zu entwi-
ckeln. Dafür wird sowohl im Kontext einer „Kulturgeschichte des Politischen“21 wie der
geschlechtergeschichtlichen Forschung seit längerem geworben:
Die Struktur des Politischen in der Frühen Neuzeit wich signifikant von der des moder-
nen Staates ab, war sie doch fundamental geprägt von dynastischer Herrschaft und damit
von personalen und familialen Strukturen22; eine Dichotomie von „öffentlichen“ und „pri-
vaten“ Handlungsräumen existierte (noch) nicht. Dynastisches Denken beherrschte die
politische Praxis, und das wirkte bis in institutionelles Handeln hinein – für die Akteurin-
nen und Akteure sowohl in Politik und Diplomatie wie im Inneren des frühneuzeitlichen
18 Puppel, Virilibus curis; Fradenburg, Introduction, 7.
19 Haan, Kurfürstentag, 95.
20 Als neuere Publikationen z. B. Gehrt/von der Osten-Sacken, Fürstinnen und Konfession; Li-
lienthal, Fürstin; Schwarz, Handlungsräume; Schneikart/Schleinert, Thronsaal; Schlot-
heuber/Emich/Brandis, Herzogin Elisabeth; Keller, Frauen und dynastische Herrschaft, mit
weiterer Literatur. Siehe auch unten S. 246 und 268.
21 Z. B. Kühne, Staatspolitik; Bösch/Domeier, Cultural history; Weidner, Begriffsgeschichte, mit
weiterer Literatur; siehe auch Morton, Politics, 2.
22 Reinhard, Staatsgewalt, 23f.; Stollberg-Rilinger, Kommentar, 246; Keller, Frauen und dynas-
tische Herrschaft, bes. 18–20. Zum Spannungsfeld öffentlich-privat siehe etwa den Überblick bei
Opitz, Um-Ordnungen, 156–220.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427