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Inschriftenüberlieferung bis zum Ende des 14. Jahrhunderts | 23
Probleme. Dazu kommt die Tatsache, dass das mittelalterliche Auge in der Regel an
die gotische Schrift und ihre eigenen Kürzungsformen gewöhnt war.31 So finden sich
im 12. und 13. Jahrhundert zahlreiche Zeugnisse, in denen gebildete Männer ihre
Verständnisschwierigkeiten im Zusammenhang mit römerzeitlichen Inschriften zum
Ausdruck bringen:
Im Jahre 1213 musste der Florentiner Jurist und Grammatiker Buoncompagno in
seiner Formula litterarum scholasticarum bekennen: „olim fiebant sculpturae mirabiles in
marmoribus electissimis, cum litteris punctatis, quas plenarie legere vel intelligere non
valemus“.32 Der Bologneser Doktor der Rechte Odofredus (gest. 1265) hielt die damals
in der Lateransbasilika befindliche Bronzetafel mit dem Schlussstück der Lex de
imperio Vespasiani für ein Fragment des Zwölftafelgesetzes33, und der Brite Magister
Gregorius, Autor der bis Petrarca gern gelesenen und sehr angesehenen Mirabilia
urbis Romae, meinte anlässlich eines Pilgeraufenthaltes in Rom an der Wende vom
12. zum 13. Jahrhundert: „in hac tabula plura legi, sed pauca intellexi.“34.
1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften
Auch im Gebiet des einstigen Noricum hatte man die Fähigkeit, mit epigraphischen
Denkmälern aus der Römerzeit umzugehen, im Mittelalter verloren. Obwohl lateini-
sche Inschriften hier wie in allen ehemaligen Provinzen des imperium Romanum in
großer Zahl erhalten geblieben waren, wurden sie nur wenig bis gar nicht beachtet.
31 Vgl. Roberto Weiss, The Renaissance Discovery of Classical Antiquity, Oxford 1973, 11, und Ida Calabi
Limentani, Epigraphia Latina. Con un’appendice di Attilio Degrassi, Milano 31974, 40. Zum Ver-
ständnis und Gebrauch von Abkürzungsformen siehe Ulla Nyberg, Über inschriftliche Abkürzungen
der gotischen und humanistischen Schriftperioden, in: Arctos 12 (1978) 63–79.
32 Zitiert nach De Rossi, ICUR II, Rom 1888, 300–301.
33 Vgl. Friedrich Carl von Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter V, Heidelberg
21850, 366, De Rossi, ICUR II 301, sowie Hartmann, Zwischen Relikt und Reliquie 489, mit Hinweis
auf Calabi Limentani, die bezweifelt, dass Odofredus tatsächlich die Lex de imperio Vespasiani ge-
sehen hat: Ida Calabi Limentani, Sul non saper leggere le epigrafi classiche nei seicoli XII e XIII: sulla
scoperta graduale delle abbreviazioni epigrafiche, in: Acme 23 (1970), 253–282.
Erst Cola di Rienzo (1313–1354) konnte sich eine Vorstellung vom Inhalt jener Bronzeinschrift (CIL
VI 930) machen, auch wenn er den vielzitierten Fehler beging, pomerium mit pomarium zu ver-
wechseln. Zu Rienzo siehe Kap. 2.
34 Magister Gregorius, De mirabilibus urbis Romae, gedruckt in: Valentini/Zucchetti, Codice topografico
III 167. Vgl. dazu G[ordon] McN[eil] Rushforth, Magister Gregorius De Mirabilibus urbis Romae: A
New Description of Rome in the Twelfth Century, in: JRS 9 (1919) 14–58, Weiss, Discovery of Anti-
quity 7–8, Angelo Mazzocco, The Antiquarianism of Petrarch, in: JMRS VII 2 (1977) 203–224, sowie
Christina Nardella, Il fascino di Roma nel Medioevo. Le „Meraviglie di Roma” di maestro Gregorio (La
corte dei papi 1), Roma 1998, und die nützliche, weil thematisch übergreifende Textdatenbank von
Ilaria Bonincontro, Le descrizioni di Roma dal XIII all’inizio del XV secolo, Online im Internet, URL:
https://romamedievale.italianistik.unibas.ch/ [abgerufen am 17.10.2015].
Welche Bronzeinschrift es war, die Gregorius vor ein unlösbares Problem gestellt hat, ist nicht be-
kannt; es muss sich aber nicht unbedingt um einen „testo a carattere giuridico in latino arcaico,
imcomprensibile a Gregorio per il lessico e la forma brachilogica“ gehandelt haben, wie die Herausgeber
des Codice topografico III 167, Anm. 2, vermuteten. Wie wir noch sehen werden, konnten auch rela-
tiv einfache Grabinschriften für falsche Interpretationen sorgen: in Oberösterreich bei Berchtold
von Kremsmünster ebenso wie in Padua bei Petrarca. Siehe Kap. 2.
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Title
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Subtitle
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Author
- Doris Marth
- Publisher
- Holzhausen Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Size
- 21.4 x 30.2 cm
- Pages
- 572
- Keywords
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548