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2.1. Legendenbildung: die historische Wendung Hanslicks
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fühle erzeugt, ja auch, wenn es weder geschaut noch betrachtet wird. Denn das
Schöne beruht auf sich gleich bleibenden Verhältnissen.“362 In der zweiten Auf-
lage von Hanslicks VMS-Traktat kann dann eine ähnliche Textstelle gefunden
werden: „Das Schöne ist und bleibt schön, auch wenn es keine Gefühle erzeugt,
ja wenn es weder geschaut noch betrachtet wird“, womit diese kaum verdeckte
Referenz abrupt endet, die Rede von den ‚sich gleich bleibenden Verhältnissen‘
übergangen und ein schon früher vorhandener Satzabschnitt angeschlossen
wird: „also zwar nur für das Wohlgefallen eines anschauenden Subjects, aber
nicht durch dasselbe“ (VMS, S. 26). Wenn Schäfke, der dieses direkte Exzerpt
erstmals entdeckte, die besagte Variante als stilistische Modifikation bewerte-
te,363 hat Grimm deren ganze Relevanz für die formale Ästhetik Hanslicks be-
merkt,364 der sich der Herbart’schen Auffassung von konstanten Verhältnissen,
die „wie der Grund seine Folge, das gleiche Urteil“ zeitigen – „und zwar, wie
zu jeder Zeit, so auch unter allen begleitenden Umständen und in allen Verbin-
dungen und Verflechtungen“365 – eben niemals anschloss366 und die historische
Kontingenz von ästhetischen Eigenschaften reflektierte.367
In Hanslicks VMS-Traktat lässt sich aber eine weitere Passage finden, die
das erörterte Vorurteil im Hinblick auf seinen ‚ahistorischen Formalismus‘
stärken konnte, wenn von ihm im dritten Kapitel der Charakter der Schön-
heit genauer definiert wird, was absehbare Fehlschlüsse antizipativ entkräften
sollte. Schönheit wird dort vom Architektonischen, Mathematischen, Symme-
trischen, Regelmäßigen und Sprachlichen (VMS, S.Â
94–102) kategorisch unter-
schieden, aber auch eine Separation von Musikhistorie und Musikästhetik
emphatisch eingefordert (VMS, S. 91–94). Hanslick vertritt hierbei eine theo-
362 Robert Zimmermann, Studien und Kritiken zur Philosophie und Aesthetik, Wien 1870, Bd.Â
2,
S. 240.
363 Schäfke, Eduard Hanslick (wie Anm. 21), S. 30.
364 Grimm, Zwischen Klassik (wie Anm. 19), S. 87 und 94f.
365 Johann Friedrich Herbart, Sämmtliche Werke, hrsg. von Gustav Hartenstein, Leipzig 1850–
1852, Bd. 8, S. 27. Vgl.: Wilfing, „Idealismus und Realismus“ (wie Anm. 43), S. 338–342;
„Hanslick and the Origins“ (wie Anm. 50), Kap. 1 und die dort erörterte Forschung.
366 Zum Herbart’schen Ahistorismus und Hanslicks Einwänden vgl.: Landerer, „Aesthetica
longa“ (wie Anm.Â
354); „Ästhetikprogramm“ (wie Anm.Â
19), S.Â
12–16; „Wiener Denkstil“
(wie Anm. 15), S. 93–96; Hanslick und Bolzano (wie Anm. 27), S. 100–103, 111f. und 127f.;
„Österreichische Geistesgeschichte“ (wie Anm.Â
18), S.Â
61f.; Landerer/Zangwill, „Deleted
Ending“ (wie Anm. 67), S. 93f.; Panaiotidi, „Alexandr Mikhailov“ (wie Anm. 29), S. 72
und 74f.
367 Siehe dazu etwa auch: Edgar, „Adorno and Analysis“ (wie Anm.Â
155), S.Â
443f. Bei meinem
Kontakt mit Edgar im Jahr 2014 hat sich zudem gezeigt, dass seine folgende Äußerung
einen wichtigen Druckfehler beinhaltet: „Herbart [recte: Hanslick] therefore suggests
that analysis is as historically and culturally conditioned as composition (and the nature
of the beautiful) itself.“ Ebda., S. 444.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423