Page - 169 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
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3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986)
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Höchst selten und dann nur isolirt bringt die Natur einen Ton hervor, d.i. einen
Klang von bestimmter, meßbarer Höhe und Tiefe. Töne sind aber die Grund-
bedingung aller Musik“ (VMS, S. 150). Doch eine Gleichsetzung von ‚tönend‘
mit ‚diatonic‘ und ‚tonal‘ sorgt dafür, dass Hanslicks ‚Formen‘ ihre akustische
Einbettung komplett verlieren, die im Original prominent mitschwingt.806
Wie Payzants Erklärung auf die Hanslick-Rezeption im englischen Sprach-
raum einwirkte, belegen Sparshott und Su Yin Mak, die die ‚tönend bewegten
Formen‘ als „forms moving in terms of a tonal system“807 und als „forms (musi-
cal structures) articulated through the dynamic relationships of tonality“ deu-
teten.808 Denn alle drei Elemente der ‚tönend bewegten Formen‘ werden durch
Hanslick in den nächsten Absätzen weitergehend konkretisiert:809 die beiden
letzten Begriffe mit den Gleichnissen von Kaleidoskop und Arabeske; ‚Tönen‘
mit dem kritischen Einspruch gegen emotivistische Kunsttheorien sowie deren
„Unterschätzung des Sinnlichen“,810 denn „[j]ede Kunst geht vom Sinnlichen
aus und webt darin. Die ‚Gefühlstheorie‘ verkennt dies, sie übersieht das Hören
gänzlich und geht unmittelbar ans Fühlen“ (VMS, S. 77).811
Wenn man wie Payzant die zweifache Bedeutung des ‚Tönens‘ von ‚For-
men‘ verkennt, ist die fortlaufend auftretende Missdeutung von Hanslicks
VMS-Traktat praktisch zwingend, die das Hanslick’sche Musikkonzept mit
dem analytischen Werkbegriff und dem gedruckten Notentext gleichsetzt.
Diese Lesart wird auch von Hanslick scheinbar bestätigt, der einmal bemerkt,
dass „für den philosophischen Begriff das componirte Tonstück, ohne Rück-
sicht auf dessen Aufführung, das fertige Kunstwerk ist“ (VMS, S. 109). Die
bewusst benutzte Wendung ‚für den philosophischen Begriff‘, die hier
eine methodische Eingrenzung kennzeichnet, wird aber kaum ausreichend
806 Panaiotidi, „Alexandr Mikhailov“ (wie Anm. 29), S. 91–93.
807 Francis E. Sparshott, „Aesthetics of Music: Limits and Grounds“, in Alperson, What is
Music (wie Anm. 638), S. 33–98, hier S. 72.
808 Su Yin Mak, „Schubert as Schiller’s Sentimental Poet“, in ECM 4/2 (2007), S. 251–263,
hier S. 253. Vgl.: Alperson, „Formalism and Beyond“ (wie Anm. 351), S. 260.
809 Dafür danke ich Christoph Landerer, der die immanente Erörterung dieser begrifflichen
Kombination in persönlichen Unterhaltungen akzentuierte. Vgl.: Landerer/Zangwill,
„Musical Essence“ (wie Anm. 228), S. 489f.
810 Die Übersetzung von Rothfarb und Landerer (wie Anm. 742) fasst Hanslicks Leitspruch
als „sonically moved forms“, was die akustische Komponente akzentuiert. Grey hat die
begriffliche Schwachstelle bei Payzant unlängst ebenfalls angemerkt: „Absolute Music“
(wie Anm. 449), S. 59. Vgl.: Landerer/Zangwill, „Musical Essence“ (wie Anm. 228),
S. 489f.
811 Insofern erscheint es seltsam, dass Ahonen, welche davon ausgeht, dass eine musikalische
Komposition bei Hanslick nicht auf die notierte Struktur begrenzt werden könnte, sich
hier auf Payzants Vorschlag beruft, der von ihr wohl ohne angefügte Erklärung gelesen
worden war: Musical Communication (wie Anm. 239), S. 124.
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Übersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Übersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Übersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423