Page - 170 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
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3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption
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berücksichtigt, was dazu führt, dass sich seine restliche Botschaft häufig ver-
liert. Denn Hanslicks Textstelle schließt damit, dass dies keinesfalls verhin-
dern dürfe, „die Spaltung der Musik in Composition und Reproduction, eine
der folgenreichsten Specialitäten unserer Kunst, überall zu beachten, wo sie
zur Erklärung eines Phänomens beiträgt“ (VMS, S. 109).812 Die Partitur als
eigentlichen Gegenstand der ‚philosophischen‘ Untersuchung methodisch
festzusetzen, hindert folglich nicht, das erklingende Musikstück und dessen
immer spezifische Aufführung in einem anderen Kontext als bedeutend anzu-
sehen.813 Dass Hanslicks VMS-Traktat, wie Seidel korrekt bemerkt,814 die wis-
senschaftliche Aufführungstheorie mit allen ihren verzweigten Implikationen
aus heutiger Sicht verfehlt, ist sicherlich zutreffend. Dies kann aber mit Hans-
licks Definition der ‚objektiven‘ Musikästhetik erklärt werden, die einzelne
Parameter isolieren muss und die das spezielle ‚Ereignis‘ als sekundär betrach-
tet, was aber nicht heißt, dass Partitur und ‚Werk‘ für ihn ident wären. Noten-
text und Aufführung erhalten dagegen mit den gewählten Kontexten einen
jeweilig anderen Charakter, der von Hanslick nicht absolut gesetzt wird, wie
auch eine spätere Passage deutlich machen kann, die das Form-Inhalt-Problem
neuerlich aufgreift:
Zum Beispiel: wechselt ein Motiv, das von einem andern Instrument oder [in]
einer höheren Octave wiederholt wird, seinen Inhalt oder seine Form? Behaup-
tet man, wie zumeist geschieht das Letztere, so bliebe als Inhalt des Motivs blos
die Intervallenreihe als solche, als Schema der Notenköpfe, wie sie in der Parti-
tur dem Auge sich darstellt. Dies ist aber keine musikalische Bestimmtheit, son-
dern ein Abstractum. Diese ändert hierdurch weder ihren Inhalt, noch ihre
Form, sondern lediglich die Färbung. Solch zahlloser Farbenwechsel derselben
Formen vom grellsten Contrast bis zur feinsten Schattirung ist der Musik ganz
eigenthümlich und macht eine der reichsten und augebildetsten Seiten ihrer
Wirksamkeit aus (VMS, S. 166).
812 Siehe dazu auch: „So liegt denn das Gefühlsentäußernde und erregende Moment der
Musik im Reproductionsact, welcher den electrischen Funken aus dunklem Geheimniß
lockt und in das Herz der Zuhörer überspringen macht“ (VMS, S. 110). Vgl.: Geoffrey
Payzant, „Eduard Hanslick on the Rôle of the Performer“, in Opuscula aesthetica nostra: A
Volume of Essays on Aesthetics and the Arts, hrsg. von Cécile Cloutier und Calvin Seerveld,
Edmonton 1984, S. 73–80.
813 Zum Thema von Partitur und Klingen bei Hanslick vgl.: Glatt, Eduard Hanslick (wie
Anm. 34), S. 79–85. Siehe dazu etwa auch: Abegg, Eduard Hanslick (wie Anm. 41), S. 41f.;
Blaukopf, Empiristische Musikforschung (wie Anm. 90), S. 114; Landerer, Hanslick und Bol-
zano (wie Anm. 27), S. 109; Gärtner, Hanslick versus Liszt (wie Anm. 39), S. 190; Landerer/
Zangwill, „Musical Essence“ (wie Anm. 228), S. 488–490.
814 Seidel, Werk und Werkbegriff (wie Anm. 448), S. 202. Zu ‚Werk‘, Aufführung, Interpreta-
tion, Improvisation, Visualisierung etc. siehe vor allem Cook, Beyond the Score (wie
Anm. 256).
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Übersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Übersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Übersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423