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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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Hanslick-Rezeption gelten jedoch nicht allein für den philosophischen For-
schungsbereich, dessen generelle Differenz zum ‚deutschen‘ Fachdiskurs (ana-
lytisch versus kontinental) ich weiter unten erkläre (Kap. 5.1), sondern eben-
so für die englischsprachige Musikwissenschaft, die mit dem Schenker’schen
Analysemodell einen ‚Sonderweg‘ beschritten hat, der für die Hanslick-Re-
zeption abermals regional wichtig wurde.
Besonders wesentlich sind hier die ‚New Musicology‘ sowie deren harte
Kritik an ‚rückständigen‘ methodischen Voraussetzungen der anglophonen
Musikforschung, die ich nun genauer erörtere. Es muss aber eingangs dezidiert
betont werden, dass ich den Begriff der ‚New Musicology‘ nur heuristisch,
keineswegs kategorisch und inhaltlich gebrauche.1042 Schon Susan McClary, als
bedeutende Vertreterin der drastischen Umwälzung innerhalb der englisch-
sprachigen Musikwissenschaft, hat bei der Benützung dieses Terminus beson-
dere Achtsamkeit empfohlen, da er nur von kritischen „detractors“ als des-
pektierliches Kollektivsymbol herangezogen werde, die ihn als sarkastischen
Sammelbegriff für ‚unmusikalische‘ Theoriemodelle geprägt hätten.1043 Wie
vor allem Michele Calella zeigen konnte, ist die oft uniform gesehene Bewe-
gung der ‚New Musicology‘ jedoch primär durch einen „methodischen Plu-
ralismus und das Fehlen eines einheitlichen theoretischen Konzepts“ charak-
terisiert. Somit sollte man nur von einem lockeren Verbund, keiner richtigen
‚Schule‘ sprechen, die einheitlich bestimmte Methodiken ihr Eigen nennt.1044
Dies wird auch von Lawrence Kramer deutlich gemacht, der auf die regel-
mäßig wiederholte Fragestellung, was ‚New Musicology‘ eigentlich ausmache,
antwortete: „A phantom, for one thing. The term is more an annoyance than a
convenience; it sticks like a cobweb with just as little usefulness.“ Sie habe keine
gleichförmige Methodologie, sondern vielmehr nur das zentrale Anliegen, „to
combine aesthetic insight into music with a fuller understanding of its cultural,
social, historical, and political dimensions that was customary for most of the
twentieth century“.1045 Wenn Joseph Kerman als die historische Gründerfigur
dieser verästelten ‚Strömung‘ betrachtet werden könnte, fand ihre tatsächliche
Europäische und anglo-amerikanische Positionen der Kulturwissenschaften, hrsg. von Rebekka
Habermas und Rebekka von Mallinckrodt, Göttingen 2004, S. 107–122, hier S. 107.
1042 Für die präliminare Charakteristik der ‚New Musicology‘ vergleiche prinzipiell:
Lawrence Kramer, „The Musicology of the Future“, in Repercussions 1/1 (1992), S. 5–18;
Ellen Rosand, „The Musicology of the Present“, in AMSN 25 (1995), S. 10–15; Kofi
Agawu, „Analyzing Music Under the New Musicological Regime“, in JM 15/3 (1997),
S. 297–307.
1043 Susan McClary, Feminine Endings: Music, Gender, and Sexuality, Minneapolis/London
²2001, S. XIII; dies., Reading Music: Selected Essays, Aldershot/Burlington 2007, S. XI.
1044 Calella, „Was übrig bleibt“ (wie Anm. 815), S. 86.
1045 Lawrence Kramer, „Musicology and Meaning“, in MT 144 (2003), S. 6–12, hier S. 6.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423