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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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Hanslicks Tätigkeit als Kritiker – die wie gesagt anders verfuhr (Kap. 2.2) –
diesbezüglich vernachlässigte: „The trajectory of Hanslick studies in the late
twentieth and early twenty-first century, therefore, is such that it charts Hans-
lick from being the opponent of program music, to being opposed to extra-
musical adjuncts, to one who conceives of music being hermetically sealed
off from its expressive content and cultural context.“1131 Dass eine derartige
Rezeption, die Hanslicks Hypothese immer radikaler auffasste, aus der ideo-
logischen Prädisposition der ‚New Musicology‘ zwingend resultierte, die die
Vorherrschaft des Schenker’schen Musikkonzepts ernstlich beschnitt und für
diesen Zweck eine passende Geschichte der ‚ideology of autonomy‘ konstruiert
hat, die Hanslicks VMS-Traktat als abschreckendes Paradebeispiel funktiona-
lisierte – was Beard und Gloag neuerlich kanonisch formuliert haben –, kann
man also als bewusste Strategie begreifen.1132
McClarys Aufsatz wird hier aber nur als das treffendste Fallbeispiel aus der
‚englischen‘ Hanslick-Rezeption aufgefasst, die als polemische Bewegung ent-
standen war und die die historische Entwicklung der ‚Old Musicology‘ ver-
einfacht resümierte, um die methodologische Neuausrichtung der eigenen
Disziplin anschaulich abzusetzen. So konnte bereits Agawu zeigen, dass eine
vorgebliche Begrenzung der anglophonen Musikdebatte auf formale Analyse
und archivalische Textforschung – die für Kerman, Kramer, McClary etc. als
Argument zweifellos opportun war – schon lange vor der ‚Wende‘ um das Jahr
1990 nicht mehr die faktischen Verhältnisse ausdrückte, da er mehrere Ana-
lysen anführte, die einen solchen Schritt bereits getätigt hatten und zentrale
Aspekte der angestrebten Kehrtwende antizipierten.1133 Dieses Pendel hin zur
musikalischen Hermeneutik schwang jedoch schnell über eine einleuchtende
Neukonzeption von musikalischer Signifikation hinaus, indem Bedeutung
lediglich postuliert, nicht kontextuell konstruiert wurde. Dieses Defizit hatte
schon DeNora im Hinblick auf McClary kritisch benannt, die instrumentale
Kompositionen „as if they are simply ‚waiting to be read‘ – that is, as if their
meanings are located outside of situated contexts of reception“ behandle.1134
Auch Cook, der selbst einen kontextuellen Theorieentwurf zur musikalischen
Semantik ausarbeitete,1135 beanstandete, dass postmoderne Wissenschaftler
„social meaning straight off the music“ lasen, ohne ihre geschichtlichen Bedin-
1131 Grimes/Donovan/Marx, Rethinking Hanslick (wie Anm. 4), S. 5.
1132 Beard/Gloag, Musicology (wie Anm. 247), S. 57 und 106f.
1133 Agawu, „Analyzing Music“ (wie Anm. 1042), S. 304–307.
1134 Tia DeNora, Beethoven and the Construction of Genius: Musical Politics in Vienna, 1792–1803,
Berkeley/Los Angeles/London 1995, S. 127.
1135 Nicholas Cook, „Theorizing Musical Meaning“, in MTS 23/2 (2001), S. 170–195.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423