Page - 235 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 235 -
Text of the Page - 235 -
4.3. Hanslick, der Formalist: adÀquate Kategorie oder leerer Begriff?
235
Dimension zu verstehenâ und ânoch weniger kann von einem âohrenkitzeln-
den Spiel in Tönenâ die Rede sein und Ă€hnlichen Bezeichnungen womit der
Mangel an geistiger Beseelung hervorgehoben zu werden pflegtâ (VMS, S.Â
77).
Hanslick scheint gegen Seidls Lesart des âSymmetrisch-, Architektonisch- und
Plastisch-Schönenâ antizipativ vorzugehen, wenn von ihm ausdrĂŒcklich fest-
gehalten wird, dass sich das Schöne mit dem Symmetrischen und Architekto-
nischen nicht decke, âworin doch niemals ein Schönes, vollends ein Musika-
lisch-Schönes bestandâ, weil auch triviale Themen âvollkommen symmetrisch
gebautâ werden können: âDie regelmĂ€Ăige Anordnung geistloser, abgenĂŒtzter
Theilchen wird sich gerade in den allerschlechtesten Compositionen nachwei-
sen lassen. Der musikalische Sinn verlangt immer neue symmetrische Bildun-
genâ (VMS, S.Â
95f.). Hanslick wies auch eine rein mathematische Interpretation
des Begriffs âFormenâ zurĂŒck, da in âreinerâ Musik, âsei sie die schönste oder
die schlechteste, [âŠ] gar nichts mathematisch berechnetâ sei. Phantasievolle
Kompositionen, so Hanslick, âsind keine Rechenexempelâ, wĂ€hrend wahrhaft
mathematische Konzeptionen dagegen besagen: âMusic consists in numerical
relations. There is no music but can be expressed in numbers.â1171 FĂŒr Hans-
lick sind Ă€sthetische Bedingungen aber erst wirklich gegeben, wenn âelemen-
tare VerhĂ€ltnisseâ kĂŒnstlerisch âaufgehobenâ wurden: âDie Mathematik regelt
blos den elementaren Stoff zu geistfÀhiger Behandlung und spielt verborgen in
den einfachsten VerhÀltnissen, der musikalische Gedanke kommt ohne sie ans
Lichtâ (VMS, S. 97). Auch hier hat das verbreitete VerstĂ€ndnis von Hanslicks
VMS-Traktat, der wohl eher als bedeutender Wegbereiter der âEntmathemati-
sierungâ von Musiktheorie und MusikĂ€sthetik gefasst werden könnte,1172 des-
sen textliche Aussagen offenkundig ĂŒberwuchert.1173
Neben dieser relativ unĂŒblichen Auffassung von Hanslicks Hypothese
ist die Hanslick-Rezeption von dem verzerrten VerstÀndnis der komplexen
Beziehung von Inhalt und Form geprÀgt worden, die in den vorstehenden
AusfĂŒhrungen schon mehrfach erlĂ€utert wurde. In der sicherlich einfachs-
ten AusprĂ€gung wurde Hanslick oft als âeinseitiger Kritikasterâ beschrieben,
der musikalisches âFormenspielâ ohne jede geistvolle Bedeutung propagiert
hat.1174 Der Einwand bestand hierbei zumeist in der sprachlichen Gegebenheit,
1171 Carus, âSignificance of Musicâ (wie Anm. 501), S. 402.
1172 Reinhard Schneider, Semiotik der Musik. Darstellung und Kritik, MĂŒnchen 1980, S. 266.
1173 FĂŒr diverse frĂŒhere Kritiken dieser aktuell seltenen Deutung siehe etwa auch: Solie,
Music History 6 (wie Anm.Â
845), S.Â
160; StrauĂ, VMS TeilÂ
2 (wie Anm.Â
22), S.Â
106; Landerer,
âBolzano, Hanslick, ObjektivismusÂ
Iâ (wie Anm.Â
138), S.Â
23; Payzant, Sixteen Lectures (wie
Anm. 12), S. 57; Nattiez, âHanslick: Immanenceâ (wie Anm. 957), S. 109.
1174 Roland Tenschert, Musikerbrevier. Nachdenkliches und Ergötzliches aus dem Reich der Musik,
Wien 1940, S. 200.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423