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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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positions, formalism turns out to be unoccupied.“1232 Um ‚den‘ ästhetischen
Formalismus als einheitliche theoretische Ausrichtung festzulegen, die die bis-
lang übliche Heuristik übertrifft, ist ein greifbares Spezifikum notwendig, das
von ‚formalen‘ Ästhetikern zumindest implizit verfochten wird. Ist ein bin-
dendes Kriterium tatsächlich bestimmbar?
Wenn bei der erörterten Definition der basalen Prämisse ‚des‘ ästhetischen
Formalismus eine prinzipielle Problematik festzustellen ist, so gilt dies – wenn
auch viel seltener behandelt – in gleichem Ausmaß für den Begriff ‚Form‘. Der
Philosoph Władysław Tatarkiewicz hat zahlreiche divergente Bedeutungen
dieses Begriffs eruiert und auch ihre historische Entwicklung beschrieben:
1.Â
Form als „disposition, arrangement, or order of parts“ (Gegenteil: „elements,
components“), 2.Â
als „what is directly given to the senses“ (Gegenteil: „content,
meaning“), 3. als „boundary or contour of an object“ (Gegenteil: „substance,
matter“).1233 Zimmermann, Herbart oder auch Bell werden hierbei der Form
als ‚disposition‘ zugeordnet, die als strukturelle Ausprägung bezeichnet wer-
den könnte, während Hanslicks VMS-Traktat für ihn zur zweiten Kategorie
gehörte.1234 Aber auch diese abstrakte Deutung wird Hanslicks Argument nicht
vollauf gerecht, da Tatarkiewicz nicht einzig dessen Geistbegriff abermals
ignoriert, sondern ebenso nicht wirklich beachtet, dass Form und Inhalt bei
Hanslick im Hinblick auf die ‚reine‘ Musik keine antithetischen Teilelemente
einer normativen Hierarchie ausmachen, sondern vielmehr identisch sind: „In
der Musik aber sehen wir Inhalt und Form, Stoff und Gestaltung, Bild und Idee
in dunkler, untrennbarer Einheit verschmolzen. […] Bei der Tonkunst giebt
es keinen Inhalt gegenüber der Form, weil sie keine Form hat außerhalb dem
Inhalt“ (VMS, S. 165). Dass Haydons Begriff eines „genetic pattern or scheme
of organization common to a number of different works of art“, also eine musi-
kalische Formenlehre, die von ihm Tatarkiewiczs Bestimmungen ergänzend
beigefügt wird, Hanslicks Definition der ‚Form‘ auch nicht trifft, wurde schon
eingehend behandelt.1235 Ob man nun Hanslicks Wendung der ‚tönend beweg-
ten Formen‘, die der Inhalt von Musik seien, strukturalistisch, sensualistisch
oder auch ontologisch wahrnehmen möchte – Tatarkiewiczs Gesamtresultat
1232 Hamilton, Aesthetics (wie Anm. 267), S. 87.
1233 Tatarkiewicz, „History of Aesthetics“ (wie Anm. 1184), S. 216. Siehe dazu auch Dziemi-
doks Untersuchung „Artistic Formalism“ (wie Anm.Â
1004), S.Â
186, welcher diverse unter-
schiedliche Bestimmungen der Klasse ‚Form‘ exakter erörtert, sich aber auf Tatarkie-
wiczs Veröffentlichung direkt stützt.
1234 Tatarkiewicz, „History of Aesthetics“ (wie Anm. 1184), S. 219f. Für Hanslicks Form-
begriff sowie dessen detaillierte Ergründung siehe etwa auch: Grimm, Zwischen Klassik
(wie Anm. 19) und die vorstehenden Ausführungen.
1235 Haydon, Introduction Musicology (wie Anm. 116), S. 130.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423