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4.3. Hanslick, der Formalist: adäquate Kategorie oder leerer Begriff?
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zur historischen Entwicklung des Begriffs ‚Form‘ im Rahmen der philosophi-
schen Theoriebildung scheint fraglos richtig: „the ambiguity of the term is as
great as its persistence.“1236
Deswegen überrascht auch kaum, dass eine wesentlich komplexere Begriff-
lichkeit, die den selbst schon unklaren Terminus der ‚Form‘ nur als ein essen-
tielles Teilmoment beinhaltet, gleichfalls gewichtige Probleme nach sich zog.
Dziemidok, der einen der seltenen Versuche zur theoretischen Bestimmung ‚des‘
ästhetischen Formalismus unternimmt, der nicht durch apriorische Annahmen
hinsichtlich der essentiellen Eigenschaften dieses Begriffs umgehend entwertet
wird, ist auf dieses Problem ausführlich eingegangen. Er spricht von einem
‚artistic formalism‘, der mit dem Wert von Kunst als Kunst („the value of a
work of art qua artwork“) befasst ist und sie von formalen Aspekten entweder
gänzlich („radical version“) oder wenigstens vorwiegend („moderate version“)
abhängig macht:1237 „Its ‚meaning‘ or its (conceptual, cognitive, material, etc.)
‚content‘ has no important consequences for its value. Hence, only the formal
aspects should be considered as criteria of artistic excellence.“1238 Der ‚aesthetic
formalism‘, der vom ‚artistic formalism‘ bewusst getrennt wird, ist jedoch pri-
mär von der rezeptiven Perspektive der ‚aesthetic attitude‘ bestimmt, die man
mit ästhetischer Kontemplation und dem interesselosen Wohlgefallen identifi-
zieren kann.1239 Dziemidoks Unterteilung ist somit recht klar: ‚artistic forma-
lism‘ ist eine rein ontologische Orientierung, die bei der ästhetischen Wert-
findung die formalen Merkmale vor inhaltlichen Teilaspekten privilegiert
(„form versus content“), während ‚aesthetic formalism‘ eine rezeptive Konzep-
tion benennt, die das scheinbar autonome Kunstwerk von ‚weltlichen‘ Fakto-
ren gänzlich entbindet („form versus context“).1240 Neben durchaus positiven
Effekten – wie der hierdurch geleisteten Akzeptanz von innovativen Kunstfor-
men und der erzwungenen Verbesserung von ‚antiformalen‘ Theorieansätzen
– hat ‚der‘ ästhetische Formalismus für ihn jedoch primär negative Resultate
gezeitigt, da er normativ beschaffen sei und als prinzipielle Kunsttheorie nie-
mals haltbar wäre: „Formalism does not allow one to reach the values unique
to literature, drama, and film because it starts with universalistic assumptions
[…]. Formalists believe that one should strive to determine general criteria
1236 Tatarkiewicz, „History of Aesthetics“ (wie Anm. 1184), S. 216. Vgl.: Stolnitz, Aesthetics
(wie Anm.Â
381), S.Â
227–230; Francis E. Sparshott, The Structure of Aesthetics, Toronto/Lon-
don 1963, S. 328f.; Carroll, Philosophy (wie Anm. 1211), S. 137–141.
1237 Dowling, „Aesthetic Formalism“ (wie Anm. 855), Kap. 2, Kap. 3.
1238 Dziemidok, „Artistic Formalism“ (wie Anm. 1004), S. 185.
1239 Ebda., S. 188.
1240 Ebda., S. 189.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423