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I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche
werden eher als graue, langweilige Existenzen abgehandelt. Gerade weil Beamte
und Bürokratie als dienende Institution der Politik im Hintergrund agieren, kön-
nen sie ungehindert mächtig werden. Mit der Feststellung, dass die Bürokratie eine
wichtige Institution darstellt und die Personen, die darin lebten und arbeiten, da-
her von Bedeutung sein müssen, ist das eigentliche Ergebnis der vorliegenden Stu-
die vorweggenommen. Doch die Welt der Bürokratie ist äußerst facettenreich, und
daher soll sie genauer unter die Lupe genommen werden. Die Bürokratie bildete
einen eigenen Mikrokosmos mit dazugehörigen Gesetzen und Regeln, sie repräsen-
tiert auch personell bzw. sozial eine eigene Welt, in der sich allerdings die gesamte
jeweilige Gesellschaft widerspiegelt. Es gibt in diesem bürokratischen Kosmos so-
zial ein sehr stark ausgeprägtes „Oben“, eine „Mitte“ und ein „Unten“. Wenn wir
uns auf politische Einflussnahme, gesellschaftliche Bedeutung, kulturelles Gewicht
konzentrieren wollen, bietet sich die Spurensuche innerhalb der Eliten im bürokra-
tischen Mikrokosmos an. Doch selbst deren Bedeutung tritt selten offen zutage, da
auch hohe und höchste Beamte als Exekutive meistens im Hintergrund der Ent-
scheidungen agierten (und agieren). Vordergründig werden die Verfügungen, die
Beamte getroffen haben, in der Öffentlichkeit als die der Politiker oder Regenten
präsentiert, und nur wenige Beamte bekannten (und bekennen) sich, bestimmte
Wege vorgegeben, gewisse Entscheidungen getroffen zu haben. Ein paradoxer
Hemmschuh für Historikerinnen und Historiker, die, eingeschlossen in ihre Pro-
vinz des Heute, den Kosmos vergangener Bürokratien nicht einfach durchschauen
können! Aus nachzulesenden Akten sind nur selten Entscheidungen von Beamten
zu entnehmen – ein Problem, von dem bald die Rede sein wird.
Im Vergleich mit der Entstehung eines modernen Beamtentums, dem mein
Buch „Gehorsame Rebellen“2 gewidmet ist, nahm sich in den Anfängen meiner
Recherchen das franzisko-josephinische Beamtentum wenig spektakulär, ja gera-
dezu langweilig aus, waren doch die wesentlichen Maßstäbe viel früher gesetzt
worden. Die Entwicklung war damals, zwischen 1750 und 1848, dramatischer ver-
laufen. In der Epoche zwischen der Revolution von 1848 und dem Ersten Welt-
krieg war gegenüber diesen früheren, aufregenden Zeiten vordergründig nur we-
nig passiert – bis auf die endgültige Festlegung des Beamtenrechtes, das erst am
Ende der Periode 1914 geschah.3 Die Wege der Bürokratie waren vorgezeichnet,
sie schien ihren geregelten Gang zu gehen. Doch der Schein trog. Es stellte sich
2 Siehe auch WALTRAUD HEINDL, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Öster-
reich (1780–1848) (= Studien zu Politik und Verwaltung 36, Wien/Köln/Graz 1991).
3 Behandelt in Kapitel: „Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277