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I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche
Der Blick auf die Institution Bürokratie als Ganzes, die eher statisch wirkt,
verstellt den Blick auf den rasanten Wandel der Beamten als Individuen in diesem
Zeitraum. Norbert Elias beobachtete bereits vor Jahrzehnten, dass es uns kaum
bewusst wird, „daß sich die Figurationen, die Menschen miteinander bilden, oft
weit langsamer ändern als die Menschen, die sie jeweils bilden, und dass dem-
entsprechend jüngere Menschen in die gleichen Positionen eintreten können, die
ältere verlassen haben“.5 Die „Figuration“ Bürokratie, ein Eigensystem, dessen
Elemente „durch Interdependenzen verschiedener Art miteinander verbunden
sind“,6 ist ein Paradebeispiel dafür. Mein Hauptaugenmerk lag vor allem darauf,
diesen Interdependenzen von Institution und Personen, dem Wandel der elitären
Beamten in dieser höchst wandlungsbestimmten Zeit nachzuspüren,7 die eben
durch die Betrachtung der Institution allein vordergründig als statisch erscheint.
Für die Beamtenwelt bedeuteten die Veränderungen dieser Periode den Ab-
schied von langen traditionellen Gewohnheiten, den Aufbruch in eine unbe-
kannte Moderne, die auch von ihnen viel Mut, Umdenken und Anpassungs-
fähigkeit verlangten. Wie kamen sie damit zurecht? Die massiven Beamtenschelte,
denen wir auch in dieser Zeit (und nicht nur etwa im Vormärz und in der Gegen-
wart) in den Medien begegnen, legen den Schluss nahe, dass es eine mediokre,
starrköpfige Beamtenschaft gab, die den Aufbruch nicht mit zu vollziehen bereit
war. Das mag es schon gegeben haben. Der Elite der Beamtenschaft jedoch wurde
gerade in dieser Epoche Möglichkeit geboten, sich Geltung zu verschaffen. Und
um es vorwegzunehmen: Sie tat es! Sie war allerdings gegenüber anderen gesell-
schaftlichen Gruppierungen im Vorteil: Sie hatte, was nicht zu unterschätzen ist,
die geeignete Ausbildung in Rechts- und Staatswissenschaften sowie das entspre-
chende technische Know-how und (meistens) auch die Schulung in sozialer Kom-
petenz, alles in allem Fähigkeiten, die es ihr gestattete, ihre Stellung am Rande der
politischen Macht zu nutzen. Diese Position hinter den Kulissen der Macht ver-
mittelte den Beamten so manche Einblicke, die ihnen die erwähnte hintergrün-
dige Einflussnahme gestatteten. Damit wurde ihnen auch vordergründig eine gute
5 NORBERT ELIAS, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums
und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft
(Frankfurt am Main 1983), S. 47.
6 ELIAS, Die höfische Gesellschaft, S. 47.
7 Vgl. zum Thema PETER BECKER & RÜDIGER VON KROSIGK, New Perspectives on
History of Bureaucratic and Scientific Subjects. In: Figures of Authority. Contributions towards
a Cultural History of Governance from the Seventeenth to the Twentieth Century. Peter Becker
& Rüdiger von Krosigk eds. (= Multiple Europe 41, Brussels 2008), S. 11–18.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277