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III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment
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Allerdings hatten sich in der langen Periode des Metternich’schen Systems gra-
vierende Mängel eingeschlichen. Ab den 1830er-Jahren hatte eine Erstarrung im
Staatsdienst um sich gegriffen: Es hatte sich herausgestellt, dass das Anciennitäts-
prinzip – ursprünglich eingeführt, um die adelige Protektion im Staatsdienst zu
brechen – die personelle Auslese im Staatsdienst nicht gerade förderte und die
Protektion nicht verhinderte, da das Verfahren bei Anstellungen in höchstem
Maß willkürlich und protektionistisch gehandhabt wurde. Der Ausbau des Privi-
legiensystems durch Beamte für Beamte hatte zwar zugenommen, trotzdem war
die materielle Lage durch die nicht angeglichenen Gehälter schlechter geworden,
was die soziale Stellung der Beamten gefährdete. Die Schwerfälligkeit des büro-
kratischen Apparates hatte überhandgenommen, da das misstrauische absolutis-
tische Regierungssystem „die Kontrolle der Kontrolle“ auf die Spitze trieb, um
dem System einen rechtsstaatlichen Anstrich zu geben und daher die übertrie-
bene Schriftlichkeit eines jeglichen Verwaltungsverfahrens verlangte. Die kollegi-
alen Beratungen in den Behörden gestalteten sich umständlich und förderten die
„Verantwortungslosigkeit“ des einzelnen Beamten, der sich jederzeit auf den „Be-
schluss im Gremium“ ausreden konnte. Ab den 1840er-Jahren waren Massen von
anonymen und nicht anonymen Schriften mit Klagen über die unzureichende
Bürokratie erschienen. Das ermüdete Regierungssystem konnte nicht mehr aus
seiner Erstarrung herausfinden und Änderungen herbeiführen.67
Nach der kurzen konstitutionellen Phase nach der Revolution 1848 mündete man
schrittweise – grundsätzlich bereits mit dem Regierungsantritt des 18-jährigen
Franz Joseph, der die Regierungstraditionen seines Hauses „von Gottes Gnaden“
fortzusetzen gedachte – wieder in einem absolutistischen System, aber in einem –
wie ihn die Träger des Systems verstanden wissen wollten – modernen Absolutis-
mus: durch die Einsetzung des Reichsrates am 13. April 1851, der den Ministerrat
als konstitutionelles Organ bereits entmachtete, durch die definitive Aufhebung
der Ministerverantwortlichkeit am 20. August 1851, die Liquidierung der soge-
nannten oktroyierten Reichsverfassung vom 4. März 1849 durch das Silvesterpa-
tent (31. Dezember 1851) und durch die Umwandlung des Ministerrates in eine
Ministerkonferenz am 14. April 1851 nach dem Tod des Ministerpräsidenten Fürst
Felix Schwarzenberg.
Die eifrigen Reformer der nachrevolutionären Zeit der jungen franzisko-jose-
phinischen Ära wussten, dass jede Staatsreform unweigerlich auch Hand in Hand
67 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 43–64.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277