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III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment
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Bezirks amtes wieder aufgehoben wurde – allerdings nur kurzzeitig. (1860 wur-
den die getrennten Bezirkshauptmannschaften und Bezirksgerichte wieder ein-
geführt.) Das Gemeindegesetz regelte die Selbstverwaltung der Gemeinden. Die
Gubernien mit den Gouverneuren an der Spitze der Hierarchie in den Ländern
wurden in Statthaltereien mit dem Statthalter als oberstem Funktionär und per-
sönlichem Vertreter des Kaisers umgewandelt.
Die neue Verwaltungs- und Justizorganisation war von den Zentralstellen, den
Ministerien in Wien, über die Statthaltereien, Kreise, Bezirke bis zu den Gemein-
den straff aufgebaut.70 Im Mittelpunkt der bürokratischen Aufmerksamkeit soll-
ten in den Kronländern in Hinkunft die Statthaltereien und Bezirksämter stehen,
die Letzteren vor allem deshalb, weil sie „dem Volk“, so beobachtete man richtig,
näherstanden als die Behörden in Wien.
Die Verwaltung, Beamte und Bürokratie betreffenden Reformen, die nach der
schweren Erkrankung von Innenminister Graf Franz Seraph Stadion (Mai 1849,
er starb 1853) erfolgten, trugen die deutliche Handschrift von Alexander (ab 1853
Freiherr) von Bach (1813–1893), der bald nach seinem Amtsantritt als Innenmi-
nister (vorher war er Justizminister) am 15. August 1849 ein Rundschreiben an
„sämmtliche Länderchefs“ erließ, in dem er die Beamten auf seinen Reformkurs
festzulegen versuchte.71 Im energischen Ton forderte er sie zur tatkräftigen Un-
terstützung für eine Verwaltung auf, die im Geiste einer „durchgreifenden Öf-
fentlichkeit“ durchgeführt werden sollte.72 Im Zentrum der Reformen Stadions
1849 standen die freien, selbst verwalteten Gemeinden und die Kreise, die den
nationalen Siedlungsgebieten angepasst, halb autonom, halb der Zentralgewalt
unterstellt, eigentlich „höhere Gemeinden“73 werden sollten. Beide hätten einer
Selbstverwaltung Tür und Tor geöffnet. Das Modell wurde deshalb fallen gelassen.
In der Adresse an die „Länderchefs“ signalisierte Bach, der im Gegensatz zu
Stadion die Statthaltereien und Bezirksämter als Mittelpunkt „seiner“ Verwaltung
70 Siehe Verwaltungsaufbau im ANHANG I.
71 Publiziert bei FRIEDRICH WALTER, Die österreichische Zentralverwaltung. III. Abteilung:
Von der Märzrevolution 1848 bis zur Dezemberverfassung 1867, 2. Band: Die Geschichte der
Ministerien Kolowrat, Ficquelmont, Pillersdorf, Doblhoff, Wessenberg und Schwarzenberg.
Aktenstücke (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, Wien
1964) Nr. 19, S. 105–115.
72 WALTER, Zentralverwaltung III/2, 106.
73 So bezeichnet von JOSEF REDLICH, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Ge-
schichte der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des
Reiches, Band 1 (Leipzig 1920), S. 361 und 367 ff.; zum Folgenden HEINDL, Bürokratie und
Verwaltung im Neoabsolutismus, S. 235 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277