Page - 53 - in Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
Image of the Page - 53 -
Text of the Page - 53 -
53
2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder
aus den deutschsprachigen und tschechischen Kronländern geschickt, um die Sys-
teme „gleich zu schalten“. Sie wurden inoffiziell von der Bevölkerung spöttisch als
„Bachhusaren“ bezeichnet. In Venetien fanden dagegen fast nur kaisertreue Italie-
ner Aufnahme – allerdings keine Venetianer, wegen des möglichen Fraternisierens
mit der Bevölkerung.78 Hinter diesen bürokratischen Aktionen stand die Überle-
gung, dass mittels einer straffen Verwaltung und eines starken, staatstreuen Beam-
tentums das so vielgestaltige Reich – inklusive Ungarns und Lombardo-Venetiens
– leichter zu regieren sei, die nationalen Diskrepanzen, die in der Revolution zu-
tage getreten waren, überwindbar würden und damit die viel zitierte Reichseinheit
herbeigeführt werden könnte. Es war mit einem Wort der groß angelegte Versuch,
aus dem zergliederten Staatsgebilde „Kaiserthum Österreich“, das Otto Brunner
treffend eine „monarchische Union von Königreichen und Ländern […] älteren
Typs“79 nannte, so wie in der Märzverfassung angekündigt, einen modernen, ein-
heitlichen, zentralistischen „österreichischen Kaiserstaat“80 zu schaffen. Die Liqui-
dierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg wäre damit perfekt gewesen.
Doch es kam bekanntlich anders: In der Lombardei wurde die österreichische
Herrschaft bereits nach etwa zehn Jahren, 1859, abgeschüttelt, in Venetien 1866, in
Ungarn war es 1867 so weit. 1867 sollten auch die Verlierer der 1848er-Revolution
– die Liberalen und die Linke der deutschen und böhmischen Länder sowie Gali-
78 ANDREAS GOTTSMANN, Venetien 1859–1866. Österreichische Verwaltung und nationale
Opposition (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Zentraleuropa-Studien 8, Wien
2005), S. 31.
79 OTTO BRUNNER, Staat und Gesellschaft im vormärzlichen Österreich im Spiegel von I.
Beidtels Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung. In: Staat und Gesellschaft im deut-
schen Vormärz 1815–1848, hg. von Werner Conze (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Ar-
beitskreises für moderne Sozialgeschichte 1, Stuttgart 1962), S. 52 f.
80 In der „Reichsverfassung“ vom 4. März 1849 wurde Ungarn als Kronland in das Reich wie
alle anderen Länder integriert, die Sonderstellung war damit aufgehoben, EDMUND
BERNATZIK (Hg.), Die österreichischen Verfassungsgesetze mit Erläuterungen (Wien 21911)
Nr. 40, S. 148. Zu den Reformen in Ungarn GEORGE BARAN�, Ungarns Verwaltung:
1848–1918. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, II: Verwaltung und Rechtswesen, hg.
von Adam Wandruszka und Peter Urbanitsch (Wien 1975), S. 362–468; ZSOLT LENG�EL,
Österreichischer Neoabsolutismus in Ungarn 1849–1860. Grundlinien, Probleme und
Perspektiven der historischen Forschung über die Ära Bach. In: Südost-Forschungen 56 (1997),
S. 213–278; ZSOLT LENG�EL, Neoabsolutismus-Probleme. Verwaltungsgeschichtliche
Aspekte zum Fall Ungarn. In: Levéltari Közlemenyek 70 (1999), S. 79–105; ZSOLT LENG�EL,
Neoabsolutismus oder Willkürherrschaft. Anmerkungen zur neueren Historiographie der Bach-
Ära in Ungarn. In: Südostforschungen 67 (2008), S. 295–320; OSKÁR SÁSHEG�I, Ungarns
politische Verwaltung in der Ära Bach 1848–1860 (= Zur Kunde Südosteuropas III/7, Graz 1979).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277