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5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867
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zu Teuerungswellen, die dazu führten, dass die ohnehin niedrigen Gehälter stän-
dig an Kaufkraft verloren. Wie Roman Sandgruber feststellte, zählten zu den Per-
sonengruppen, die von dem in den 1850er-Jahren sich verstärkenden Lohndruck
und der schleichenden Inflation am meisten betroffen waren, die Beamten, die
faktisch mit ihren seit Jahrzehnten nicht mehr angepassten Gehältern auszukom-
men hatten.133 Diese augenfällige Sparsamkeit den Beamten gegenüber resultierte
aus der traditionellen Auffassung, dass der Staatsdienst patriotischer Dienst am
Bonum commune ein höchst ehrenvolles Amt sei. Die Besoldung, so zum Beispiel
die Argumentation Finanzminister Steinbachs noch Jahrzehnte später, wäre daher
keine Entlohnung, sondern „Alimentation“, die sich nach der sozialen Stellung
des Beamten zu richten habe.134
Neben den niederen Beamten waren es die jüngeren Staatsdiener, um die
es wirklich schlecht bestellt war. Ein Bezirksadjunkt – in heutiger Diktion ein
(junger) Bezirksrichter – verdiente 700 bis 800 Gulden pro Jahr. Der Lokalpreis
für eine Wohnung mit fünf Zimmern, Küche und Nebenräumen, die für eine
damals durchschnittliche sechsköpfige Familie, bestehend aus Mann, Frau, drei
Kindern und einem Dienstboten, betrug beispielsweise in der Steiermark von
300 Gulden (Graz) bis 140 Gulden (Feldbach).135 Im Jahr 1857 berechnete Ernst
von Schwarzer, der „Chefideologe“ des liberalen Wirtschaftskapitalismus in Ös-
terreich, die Lebenshaltungskosten der sogenannten „kleinen Honoratioren auf
dem Lande“ (dazu zählte er niedere Staatsbeamte, Schullehrer, Gemeindebeamte)
für eine Durchschnittsfamilie mit 500 Gulden jährlich, wobei er für die Haupt-
ausgaben des Lebensunterhalts bereits fast 300 Gulden, „um sich satt zu essen,
57 Gulden für eine anständige Kleidung und 86 Gulden für eine Wohnung be-
rechnete.136 Zieht man dazu ins Kalkül, dass Schwarzers Berechnungen hinsicht-
lich der Wohnkosten viel zu niedrig angesetzt waren, und berücksichtigt man,
bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 15, Göttingen 1978), im besonderen Band 1, S.
269–280, und Band 2, Tabelle 53, 1090, auch HEINDL, Einleitung, ÖMR. III/ 4, S. XVI ff.
133 ROMAN SANDGRUBER, Lebensstandard und wirtschaftliche Entwicklung im österreichi-
schen Neoabsolutismus (1848–1859). In: Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge. Festschrift
für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag, hg. von Herbert Knittler (Wien 1979), S. 383.
134 Zit. MEGNER, Beamte, S. 90.
135 In „Steirisches Operat“ vom 28. April 1853, STEIERMÄRKISCHES LANDESARCHIV, Statt-
halterei, Organisierungslandeskommission 1853/54, Faszikel VIII C, GZ. 560/1853, siehe Heindl,
Bürokratie und Verwaltung im Neoabsolutismus, S. 242.
136 ERNST von SCHWARZER, Geld und Gut in Neu-Österreich (Wien 1857), S. 52; zur schlech-
ten Lage der Bürokratie siehe auch Theodor Kratky, Die Beamten- und Besoldungsfrage in ihrem
Zusammenhange mit der Organisation des Staatsdienstes und der Universitäten (Wien 1857).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277