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III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment
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dass ein Bezirksrichter nicht zu den ganz „kleinen Honoratioren“ gezählt werden
konnte, dem höhere Lebenshaltungskosten zugebilligt werden mussten, so wird
deutlich, dass er mit 700 bis 800 Gulden pro Jahr nur unter Schwierigkeiten sein
Auslangen finden konnte. Dazu gab es im Umfeld der jungen, akademisch ge-
bildeten Konzeptsbeamten noch ein Heer von (ebenfalls akademisch gebildeten)
Konzeptspraktikanten, die im besten Fall ein „Adjutum“ von 300 Gulden bezo-
gen, sofern sie überhaupt besoldet waren. Wilhelmina Salzgeber, Ehefrau eines der
ranghöchsten Beamten, äußerte sich euphorisch, dass ihr Sohn Albano endlich ein
Adjutum von 300 Gulden „erlangt“ habe.137 Offenbar hatte er vorher ohne eine
finanzielle Gegenleistung gearbeitet. Oft versuchte man, Personalprobleme der
Verwaltung, wie in Venetien in den 1860er-Jahren, durch die Zuteilung von solch
unentgeltlich arbeitenden Kanzleipraktikanten zu lösen, Absichten, die ins Leere
gehen mussten,138 da – wie bereits gesagt – damit ein unzufriedenes „Beamtenpro-
letariat“ herangezogen wurde.
So kam es, dass höhere Funktionäre aus sehr unterschiedlichen Regionen, zum
Beispiel Kreishauptmänner in Böhmen, Schreiben an den Statthalter richteten, in
dem sie die katastrophalen Folgen der schlechten finanziellen Lage der Beamten
für das gesamte Verwaltungs- und Regierungssystem thematisierten und von „ei-
ner Proletarisierung“ vor allem der unteren Beamtenschaft sprachen.139 Ebensolche
Berichte trafen in Wien von den venetianischen Beamten ein, die von der Wirt-
schaftskrise, die sich ab Ende der 1850er-Jahre noch verschärfen sollte, besonders
betroffen waren.140 1866 stellte sich heraus, dass es deutsch- und slawisch-österrei-
chische Beamte in Venetien gab, die nach dem Rückzug Österreichs aus Venetien
nicht das Geld hatten, um die Heimreise in ihre Länder bezahlen zu können.141
Infolge dieser tristen finanziellen Situation verarmten die Beamten. Es kam
zu Erscheinungen des Pauperismus und zu Unterschlagungen, besonders vonsei-
ten der niederen Beamten.142 In den Berichten aus den Ländern der ungarischen
Krone an Innenminister Bach fiel beispielsweise die Bemerkung, „dass der tatsäch-
137 Wilhelmina Salzgeber an ihre Tochter Minna Russegger, 1. Oktober 1847, PA BLECHNER, Zur
Geschichte der Familie Blühdorn, Briefe, Manus, S. 44.
138 GOTTSMANN, Venetien, S. 41.
139 CHRISTOPH STÖLZL, Die Ära Bach in Böhmen. Sozialgeschichtliche Studien zum Neo-
absolutismus 1849–1859 (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 26, München/Wien
1971), S. 112–119.
140 GOTTSMANN, Venetien, S. 56–59.
141 GOTTSMANN, Venetien, S. 59, Anm. 104.
142 DAS BEAMTENTUM IN ÖSTERREICH, anonym, Eine socialpolitische Schrift (Wien
1861), S. 6.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277