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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
ität des absolutistischen Systems noch immer die rechtsstaatliche Institution. Im
Verfassungsstaat wurden nun aber naturgemäß andere Komponenten staatlicher
Führung, von Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle wichtig, die den Beamten ihre
singuläre Rolle, alleinige Repräsentanten des Rechtsstaates zu sein, die sie bis jetzt
innegehabt hatten, streitig machten. Noch 1860 hatte der bereits erwähnte Carl
Freiherr von Hock (1808–1869), ein hoher Beamter, Direktor des Hauptzollamtes,
der es in den 1850er-Jahren zum Sektionschef im Finanzministerium brachte, das
Beamtentum, das er für eine bunte, ja „demokratische Mischung“ hielt, etwas em-
phatisch als „Ersatz der mangelnden demokratischen Elemente im Staatsorganis-
mus“ und als „Surrogat der modernen Verfassung“ bezeichnet.23 Das konnte seit
1867 so nicht mehr gelten. Das Parlament, eine dem Parlament verantwortliche
und auf die Verfassung vereidigte Regierung und die obersten Gerichte, die in der
Folge eingesetzt wurden, hatten von nun an die Aufgabe, Hüter von Verfassung
und Rechtsstaat zu sein. Gerade aus dieser Funktion, die sie nun teilen mussten,
hatten aber die Beamten ihr Selbstverständnis bezogen. Wollen wir den in zeitge-
nössischen Berichten und den in der Literatur häufig geschilderten Beamtentypen
glauben, so waren sich die Inhaber von höchsten Ämtern ihres gesellschaftlichen
Wertes weiterhin wohl bewusst und sahen in der Tatsache, als kaiserliche Beamte
dem Allerhöchsten Herrn persönlich verpflichtet zu sein, ein beträchtliches Pres-
tige.
Für manche aber gestaltete sich das Verhältnis zur Krone heikel: Das waren
jene, die politisch partizipieren und mitgestalten wollten, sei es an den neuen po-
litischen Parteien, sei es an den immer heftiger werdenden nationalen Auseinan-
dersetzungen. Die (hohen) Bürokraten waren selbstverständlich als die gebildeten
Staatsbürger par excellence in Gesetz und Recht bewandert sowie mit den kultu-
rellen Gewohnheiten des Bürgertums vertraut und dadurch dafür prädestiniert,
politische Verantwortung zu übernehmen, die Geschicke des Staates zu leiten, an
den parlamentarischen Vertretungen zu partizipieren und für politische Ämter
Verantwortung zu tragen. Im ersten konstitutionellen Ministerrat von 1861 ge-
hörten bezeichnenderweise alle Minister ausnahmslos dem Beamtenstand an.24
Jedoch blieben sie, wie schon dargelegt, auch als Minister wie als parlamentarische
Vertreter weisungsgebundene Beamte des Kaisers, per Gesetz verpflichtet, seinen
Willen zu erfüllen. Und sein Wille war es, die Beamten in einer Art politisch
keimfreien Atmosphäre der „reinen Staatsidee“ – nur ihm verpflichtet – zu sehen.
23 HOCK, Österreich und seine Bestimmung, S. 161.
24 SCHIMETSCHEK, Der österreichische Beamte, S. 174.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277