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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
turelle und nationale Vorteile. Mit einem zentralistischen Behördenaufbau war
es sicher leichter, die Übersicht über die vielfältigen Kompetenzen der Behörden
zu behalten sowie die Wahrung der Hoheitsrechte und Souveränitätsansprüche
von Krone und Staat zu überwachen, als dies bei Selbstverwaltung und autono-
men Behörden möglich war. (Später sollte es in der neuen Verfassungsdiskussion
gerade um diesen letztgenannten Trend gehen, der vielen Dienern des Staates
Schwierigkeiten bereitete, da es sich um eine gänzlich andere Richtung handelte,
als die Beamten es gewohnt waren, nämlich um Dezentralisation.)33
Zum wirklichen Zankapfel zwischen Kaiser und Parlament wurden die Beam-
ten, als es zu Beginn der 1870er-Jahre um die Durchsetzung der Gehaltsreform für
den öffentlichen Dienst ging. Es war die Einreihung der Beamten in die Ränge
(mit dem entsprechenden Gehaltsschema), der zu einem großen Konflikt zwischen
Krone und Parlament, vor allem mit den Liberalen wurde. Der Kaiser bestand da-
rauf, selbst die Einreihung der Beamten in die elf Rangklassen vorzunehmen, das
Parlament wollte sich dieses Recht, das mit einem beträchtlichen Kostenaufwand
verbunden war, nicht aus der Hand nehmen lassen.34 Der Konflikt endete mit
einem Sieg des Kaisers, der schließlich (gemeinsam mit der Regierung) die Ein-
ordnung in die vorgesehenen Ränge und damit die Position und Karriereleiter der
Beamten bestimmte. Die Mitwirkung des Reichsrates wurde nur durch das Recht
der Bewilligung des Budgets für die Gehälter gesichert. Der Zwischenfall zeigte die
Unbeugsamkeit des Allerhöchsten Herrn, wenn es um die Beamten ging. Für eine
große Zahl von Beamten, stellte sich diese Anhänglichkeit des Kaisers an sie als
Problem dar. Viele hätten es damals vorgezogen, wenn dem Parlament die Einrei-
hung zugesprochen worden wäre. Sie bevorzugten damals den moderneren – vom
Souverän unabhängigeren – Weg, die Beurteilung durch das Parlament.
Diesen Loyalitätskonflikt, zwischen einen die Beamtenschaft absolut beanspru-
chenden Souverän und einen Staat mit Parlament und Verfassung gestellt zu sein,
musste jeder Beamte auf seine Art lösen. Da Franz Joseph sich im Großen und
Ganzen an die Konstitution hielt, die er feierlich (wenn auch contre coeur) unter-
schrieben hatte, blieb der Konflikt „Kaiser oder Verfassungsstaat“ eher ein stiller
und sehr persönlicher für einen jeden Beamten.
33 Auch HEINDL, Zum cisleithanischen Beamtentum, S. 1175.
34 Aufschlussreich die Wortmeldung von Finanzminister Freiherr de Pretis im Parlament, der
mit der Gewaltenteilung argumentierte, STENOGRAPHISCHE PROTKOLLE DES
REICHSRATES (weiterhin RRPROT.), Haus der Abgeordneten, VII. Session, 64. Sitzung am
1. März 1873, S. 1271; vgl. auch MEGNER, Beamte, S. 111 ff. und 121–126.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277