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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
ser Annahme wurde in den letzten Jahren durch die umfangreichen Arbeiten von
William Godsey, Helmut Rumpler und Éva Somogyi auf den Grund gegangen.
Durch die beiden Erstgenannten, Godsey und Rumpler, wurden sie bestätigt.76
Godsey meint, die Monarchie habe für die Diplomaten mehr als ein Zuhause
verkörpert, sie hätte die Werte, Ideale und Traditionen der zivilisierten Welt sym-
bolisiert.77 Allerdings sieht Éva Somogyi die Haltung der ungarischen Beamten
im Wiener Ministerium des Äußern differenzierter. Sie untersuchte soziale Her-
kunft, Karriere und Lebenslauf dieser Beamten und kam zur These, dass für deren
Karriere nach dem Ausgleich die Nationalität notgedrungen entscheidend werden
musste.78 Von den Nationalisten in Ungarn pauschal des „Verrats“ verdächtigt,
mehr die Wiener Politik als die ungarische zu vertreten,79 zeigten die in Wien
tätigen ungarischen Beamten – ganz im Gegenteil – die „gemeinsame Überzeu-
gung“, „dass die Position der Ungarn in der Leitung des Reiches verstärkt“ wer-
den müsse, und auch in der Realität spielten, so meint sie, „die leitenden Wiener
Ungarn eine bestimmende Rolle bei der Gestaltung des Beamtenapparates“ des
Außenministeriums.80 Allerdings wären sie nie dazu gezwungen worden, „Wie-
ner“ Beamte zu werden, sondern ihre national ungarische Identität wäre sehr wohl
respektiert worden.81 Der „Geist“ des Ministeriums des Äußern war also ebenso
„schein-
anational“ wie der jener anderen Ministerien, wo es einen versteckten –
weil offiziell verpönten – Nationalismus und nicht offen gezeigte nationale Bevor-
zugungen gab.
Der Imperativ, strikte Anationalität zu wahren, galt für alle Beamten, schon
gar für die höchsten Stellen im Staat. In den hohen und höchsten Rängen nach
der Beamtenskala waren dies die kaiserlichen Minister, die zu einer Hälfte ihrer
dienstlichen Existenz Beamte, zum anderen Teil politische Funktionäre waren.
Diesen dürfte zumeist auch der Balanceakt zwischen Staat und Nation und eine
76 WILLIAM D. GODSE�, JR., Aristocratic Redoubt. Th e Austro-Hungarian Foreign Of-
fice on the Eve of the First World War (West Lafayette, Indiana 1999), S. 124–164; HELMUT
RUMPLER, Die rechtlich-organisatorischen und sozialen Rahmenbedingungen für die Außen-
politik der Habsburgermonarchie 1848–1918. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, VI/1: Die
Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen, hg. von Adam Wandruszka
und Peter Urbanitsch (Wien 1989), S. 109–113.
77 GODSE�, Aristocratic Redoubt, S. 163 f.
78 SOMOG�I, Im Dienst, S. 595 und 623, ausführlich auch SOMOG�I, Professionalisierung (Teil
1), S. 140–167.
79 Im Besonderen SOMOG�I, Im Dienst, S. 595–600.
80 SOMOG�I, Im Dienst, S. 623 f.
81 SOMOG�I, Im Dienst, S. 625 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277