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5. Nationale Illustrationen
halbwegs gerechte Vorgangsweise gelungen sein. Carl von Stremayr (1823–1904),
ein Beamter an verschiedenen Dienststellen in der Steiermark und in Wien, 1870
Hofrat am Obersten Gerichts- und Kassationshof, Abgeordneter der Deutschlibe-
ralen, wurde Minister für Cultus und Unterricht, ein Amt, das er zehn Jahre lang
(1870–1880) ausübte, obwohl es immer wieder Unstimmigkeiten mit dem Kaiser
gab. In seinen Erinnerungen beschreibt er seine tatsächlich schwierige Lage. Er
fand sich eingezwängt zwischen seinen früheren „Parteifreunden“ einerseits, de-
nen er offenbar als Minister zu reserviert erschien, und der Krone sowie den Er-
fordernissen der Politik eines kaiserlichen Ministers, die Gerechtigkeit gegenüber
allen gebot, andererseits. Seine Differenzen mit dem Kaiser habe er allerdings als
loyaler Minister seinen Parteigängern nicht mitteilen können, er habe aber als
Minister, so rechtfertigt er sich im Nachhinein, „die Freiheit seiner gewissenhaften
Überzeugungen“ gewahrt,82 jedoch „in voller Unpartheylichkeit die Entwicklung
aller Nationalitäten im Staate, ihrer Sprache und Cultur mit gleicher Liebe“ geför-
dert, er habe alles vermieden, was „das Band […] auflösen musste, welches allein
[…] die vielsprachigen Volksstämme des Reiches zu einem blühenden Staatswesen
unter Habsburgs Scepter dauernd vereinen konnte“.83 Stremayrs Sprachenverord-
nungen, die der „sanfte Heinrich“, wie er im Ministerium genannt wurde,84 im
Jahr 1880 erließ, bestätigen im Großen und Ganzen Stremayrs „Bekenntnisse“.
Die Sprachverordnungen sahen vor, dass der mündliche und schriftliche Partei-
enverkehr der Beamten in den tschechischen Gebieten in der Sprache erfolgten,
in der die Partei es wünschte, der innere Sprachgebrauch der Behörden konnte
deutsch oder tschechisch sein. Aus Mangel an Kenntnissen des Tschechischen der
deutschsprachigen Beamten behielt das Deutsche die Oberhand. Der Gerech-
tigkeitssinn des Cultus- und Unterrichtsministers betraf auch das Kaiserhaus.
Obwohl er sich wegen der „harten Kämpfe“ mit dem Kaiser nicht „die höchste
Zufriedenheit und Gnade“ erwerben konnte, verkehrte er mit Mitgliedern des
kaiserlichen Hauses und lobte deren Tugenden – selbst die des Kaisers.85 Das Bei-
spiel eines loyalen Beamten? Von Emil Steinbach (1846–1905), einer der wenigen
katholisch getauften Juden in der Wiener Hochbürokratie und Finanzminister
von 1891 bis 1893, von den Zeitungen der verschiedensten politischen Richtun-
gen sowohl des konservativen Klerikalismus als auch seiner sozialen Vorstellun-
82 CARL von STREMA�R, Erinnerungen aus meinem Leben. Seinen Kindern und Enkeln gewid-
met (Wien 1899), S. 49.
83 STREMA�R, Erinnerungen, S. 56.
84 EHRHART, Im Dienste, S. 70.
85 STREMA�R, Erinnerungen, S. 57 und 64 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277