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5. Nationale Illustrationen
jeder Beamte die im Dienst notwendige Sprache beherrschen müsse. Allerdings
war diese Formulierung sehr weit interpretierbar und stellte damit keine wirk
liche
Lösung dar. Dessen Nachfolger Franz Graf Thun-Hohenstein, ein tschechen-
freundlicher Feudaler, hatte mit seinen Verhandlungen noch weniger Glück, sie
wurden wieder mit Straßendemonstrationen beantwortet. Selbst danach wurden
die Staatsdiener aller Sprachgruppen und aller Ebenen jahrelang durch die von
den verschiedenen Parteien eingereichten Entwürfe, die sie in unterschiedlichster
Weise zur Erlernung der Sprachen verpflichten sollten, zutiefst verunsichert.103
Die Beamten aller Ebenen wurden aber auch im Parteienverkehr mit der
Sprachenfrage konfrontiert. Vonseiten der Bevölkerung wurde der Ruf nach der
Verwirklichung des Rechts, sich in der Muttersprache auf den verschiedensten
Ebenen auszudrücken, immer lauter. Die Ausbildung in der Muttersprache, die
Unterrichtssprache, musste notgedrungen eine immer größere Rolle spielen, die
Beschwerden nahmen zu und die Behörden hatten weitreichende Entscheidun-
gen zu fällen, die nicht immer minderheitenfreundlich waren – und je näher sie
geografisch dem Problem in den Ländern waren, desto weniger erweckten sie den
Anschein, objektiv zu sein.104
Noch kampflustiger ging es in der Beamtenschaft auf Bezirks- und Gemeinde-
ebene zu, wo die Nationalitätenkämpfe bezüglich der Sprachenfrage äußerst heftig
ausgetragen wurden. In dieser allgemeinen Verwirrung reagierten die Beamten
umso weniger besonnen, je mehr sie zum Spielball der Parteien wurden. Pieter
Judson, der sich in seiner eingehenden Studie über die nationalistischen Aktivi-
täten in gemischtsprachigen Gebieten von Böhmen und der Steiermark beschäf-
tigte, zeigt am Beispiel von einigen nationalistischen Ausschreitungen in kleinen
gemischtsprachigen Orten in Südböhmen (Bergreichenstein/Kašperské Hory und
Schüttenhofen/Sušíce) im Jahr 1908 deutlich die schwierige Situation – sowohl
der tschechischen als auch der deutschsprachigen Beamten, da jeder einzelne
Beamte von den Nationalisten beider Couleurs argwöhnisch nach ihrer Sprach-
gruppe eingeteilt, danach beobachtet und beurteilt wurde.105 Dadurch waren sie in
der Öffentlichkeit ununterbrochenen Vorwürfen der anderen Sprachgruppe aus-
103 Zu den Lösungsvorschlägen der „deutschen“ Parteien von 1899 und der Sozialdemokratie siehe
BURGER, Sprachenrecht, S. 164; zum Thema Badeni-Krise auch DEAK, The Austrian Civil
Service, S. 268–273.
104 BURGER, Sprachenrecht, z. B. S. 62–74, insbesondere Kapitel 3 und 4, vor allem S. 201–234,
236–239.
105 PIETER M. JUDSON, Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Impe-
rial Austria (Cambrigde Mass. 2006), S. 177–218.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277