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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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1889 in das Finanzministerium in Wien berufen und zum gesuchten Fachmann
vor allem für Zollfragen wurde. Der 1865 in Gottschee (Kočevje) geborene Dr. Ri-
chard Wenedikter (Ernennung zum Sektionschef am 10. Dezember 1918, also kurz
nach Ausrufung der Republik), begann seine Karriere 1889 in der Landesregierung
seines Heimatkronlandes Krain in Laibach und wurde danach bei den Bezirks-
hauptmannschaften in Rudolfswerth (Novo mesto), Gottschee, Radmannsdorf
(Radovljica) tätig. Er wurde wieder in die Landesregierung nach Laibach versetzt
und dann in das Innenministerium nach Wien berufen.121
Für die Generation der in den 1870er-Jahren Geborenen (die in der Regel erst
in der Ersten Republik zum Sektionschef ernannt wurden) galt dieser Karriere-
verlauf zum Teil noch, wie für den Absolventen der Rechtswissenschaften und
der montanistischen Studien Franz Aggermann von Bellenberg (geboren 1872 in
Schluckenau [Šluknov] in Böhmen, Sektionschef 1926), der seine Laufbahn in
der Bergdirektion in Brüx (Most) in Böhmen begann und 1917 als Bergrat in das
Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien berufen wurde, oder für den wich-
tigen Wirtschaftsfachmann Dr. jur. Ludwig von Alexy, 1871 in Salzburg geboren,
Eintritt in den Staatsdienst 1892 bei der Landesregierung in Salzburg, der bereits
1899 in das Innenministerium kam und 1917 zum Sektionschef ernannt wurde.122
Immer mehr wurde es jedoch Brauch, an einem Dienstort, ja auch in derselben
Behörde zu bleiben. Der Theresianist Dr. Alexander Angerer beispielsweise, 1868
in Wien geboren, wurde zwar kurz nach seinem Eintritt in den Staatsdienst bei
den Bezirkshauptmannschaften in Baden und Mödling verwendet, man berief
ihn aber sehr bald, 1901, in das Innenministerium, wo er mit dem Versatz- und
Versteigerungswesen betraut wurde, das 1905 zum Handelsministerium kam, wo
er 1920, also bereits in der Ersten Republik, zum Sektionschef ernannt wurde.
1921 war er als Mitglied der Großdeutschen Partei kurzzeitig Bundesminister für
Handel, Gewerbe, Industrie und Bauten. Ähnlich erging es Dr. jur. Artur Aigner
Ritter von Aigenhof, geboren 1876 in Wien: er trat 1905 als Postkonzipist in das
Handelsministerium ein und blieb dieser Behörde sowie dem Postwesen treu, bis
er 1925 zum Sektionschef ernannt und 1933 wegen seiner „nationalen Einstellung“,
wie er selbst im Gauakt angab, frühzeitig pensioniert wurde.123
Der Radius der Stationen innerhalb eines beamteten Berufslebens wurde, wie
121 Die vier Beispiele ENDERLE-BURCEL, FOLLNER, Diener vieler Herren, S. 148, 311 ff. und
478.
122 ENDERLE-BURCEL, FOLLNER, Diener vieler Herren, S. 26 und 28.
123 ENDERLE-BURCEL, FOLLNER, Diener vieler Herren, S. 33 ff. und 27 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277