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6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus
mag die Beobachtung des Finanzbeamten Friedrich Kleinwaechter, dass die natio-
nalen Vertreter im Abgeordnetenhaus in Wien im Laufe der Zeit – selbstverständ-
lich inoffiziell – zumindest versuchten, die Posten in den Zentralstellen paritätisch
nach Nation und Kronland zu besetzen, doch gestimmt haben.129 Protegierungen
sind im Allgemeinen nicht immer ganz einfach festzumachen, da sie (wie auch
heute) meist über inoffizielle Bahnen verlaufen. Auch die Memoiren von Staats-
dienern bieten kaum objektive Anhaltspunkte. Welcher Protegé spricht schon
gerne über Förderungen, die ihm zuteilwurden? Jeder wollte seinen Erinnerun-
gen zufolge aufgrund persönlicher Fähigkeiten ernannt worden sein – außer man
sprach wie Kielmansegg über die Protegierung von Kollegen. Kielmansegg, der
sich selbst für einen unbestechlichen Beamten hielt, gibt uns empörte Schilde-
rungen über die in seinen Augen heftigen Intrigen des bereits erwähnten Rudolf
Sieghart, also eines ranghohen Kollegen, was ihm besonders missfiel.130 Hier war,
wenn es tatsächlich geschehen war, Missbrauch der Position im Spiel. Wir dürfen
annehmen, dass auch in den weniger hohen, mittleren und unteren Beamtenrän-
gen von persönlicher, nationaler und parteipolitischer Seite eingegriffen wurde. Es
galt in jedem Fall, Einfluss zu sichern und Wählerstimmen zu gewinnen.
Ein bedenkliches Faktum trat bald dazu: Es waren nicht nur die Abgeordneten
zum Parlament und die nationalen Bewegungen, die intervenierten und prote-
gierten, bereits die Vorfeldorganisationen der Parteien für Mittelschüler und Stu-
denten veränderten die traditionelle Personalpolitik und nahmen auf die welt-
anschauliche Prägung späterer Staatsdiener Einfluss. Vonseiten der Dynastie und
der Regierung wurde seit Mitte des 18. Jahrhunderts versucht, durch das There-
sianum, einer Bildungsstätte (zunächst nur) für die Söhne der Aristokratie, die
künftigen Staatseliten im kaiser- und staatstreuen Sinn zu erziehen. Wohl waren
es im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert immer noch die Absolventen des The-
resianums, die mit 68 % den Staatsdienst dominierten und in einem kaiser- und
staatstreuen Sinn jenseits aller nationalistischen Strömungen erzogen wurden.131
Seit den Erfolgen der Christlichsozialen Partei 1895 aber spielte, wie Gernot Stim-
129 Siehe Kapitel „Nationale Illustrationen“.
130 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 161 ff.
131 Millenkovich-Morold, der später deutschnational und noch später nationalsozialistisch werden
sollte, merkte diese „realitätsferne“ anationale Einstellung kritisch in seinen Erinnerungen an.
MAX von MILLENKOVICH-MOROLD, Vom Abend zum Morgen. Aus dem alten Öster-
reich ins neue Deutschland. Mein Weg als österreichischer Staatsbeamter und deutscher Schrift-
steller (Leipzig 1940) , S. 34 f.; siehe auch die Beschreibungen des multinationalen Theresianums
bei Erasmus von Handel, Kapitel „Typisch josephinische Beamteneliten“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277