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7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung
XI. Rangklasse erhielten eine „Aktivitätszulage“, die hohen Beamten eine „Funk-
tionszulage“. Die „Aktivitätszulage“ war als eine Art Zuschuss zu den lokalen
Lebenskosten gedacht, da in den Regionen der Monarchie sehr unterschiedliche
Lebenshaltungskosten herrschten. Die Orte wurden in vier Klassen eingeteilt, wo-
bei die geringste „Lokalzulage“ von 120 Gulden für Beamte in der XI. Rangklasse
in Orten mit weniger als 1.000 Einwohnern (4. Ortsklasse) vorgesehen war, die
höchste von 1.000 Gulden für Wien (1. Ortsklasse) für einen Beamten in der V.
Rangklasse. Die „Funktionszulagen“ der höheren Beamten wurden als Ersatz für
Repräsentationskosten angesehen. Den Bezug dieser Zulage wollte man den Be-
amten der „akademischen“ Beamtenkategorien auch nach der Vollendung des 65.
Lebensjahres gestatten – im Gegensatz zu der Aktivitätszulage, die den mittleren
und niederen Beamten nach dem 65. Lebensjahr entzogen werden sollte. Die Ar-
gumentation ist bemerkenswert, dass nämlich an die mittleren und niederen Be-
amten „quantitative Anforderungen“ gestellt würden, „leitende Persönlichkeiten
dagegen“ bedürften „nicht jenes Grades an physischer Rüstigkeit“, daher könnten
sie über das 65. Lebensjahr weiterdienen.158 Von geistiger Kapazität war kurioser-
weise nicht die Rede. Die Aufregung und der Protest der niederen und mittleren
Beamtenschaft gegen diese, wie sie meinten, ungerechtfertigte Diskriminierung
war so gewaltig, dass dieser Plan von der Regierung fallen gelassen wurde. Die
Zeiten hatten sich doch etwas geändert!
Die Höhe der Zulagen war in den hohen Rängen beträchtlich, sie überstiegen
in manchen Fällen das Gehalt.159 Das (Un-)Wesen der Zulagen verschleiert die
wahren Gehälter der einzelnen Beamten. Der tatsächlichen Summe, die ein Be-
amter jährlich verdiente, ist daher nicht ganz einfach auf die Spur zu kommen.
Offensichtlich wollte man die Gehaltsschemata des Staatsdienstes als Geheimsa-
che betrachten – ein eher komisches Relikt aus früheren Zeiten,160 ziehen wir in
Betracht, dass es die Budgethoheit des Parlaments gab, das in öffentlichen Sitzun-
gen die Materie abhandelte.
Die Einführung des Zeitavancements nach fünf Jahren (Quinquennien ge-
nannt) innerhalb der einzelnen Rangklassensysteme ermöglichte den Beamten
einen einigermaßen zufriedenstellenden Aufstieg. Da die Vorrückung nach Quin-
quennien aber nur innerhalb der jeweiligen starr systemisierten Rangklasse mög-
lich war, zeigten sich die Nachteile des neuen Systems sehr bald, wenn nämlich
158 MEGNER, Beamte, S. 118.
159 Siehe ANHANG II.
160 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 172–196.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277