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7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung
dieser Aussage liegt – Korruption und Betrug gehörten definitiv nicht zum Bild
der österreichischen Beamten, was allerdings nicht bedeutet, dass es sie nicht gab.
Die Beamten selbst arbeiteten emsig an der Verschleierung. Akten darüber wur-
den (wahrscheinlich) skartiert, selbst in den Beamtenmemoiren wurden solche
Monstrositäten wie Korruption und Bestechlichkeit schamhaft verschwiegen; und
wenn sie doch vorkamen, wie im Fall eines Forstbeamten, von dem uns Max Frei-
herr von Mayr berichtet,168 angeblich streng geahndet. Darum wissen wir so wenig
über Korruption und Bestechlichkeit!
Der Kampf der Beamten um die Gehälter ging weiter. Als gegen die Jahrhun-
dertwende wieder ein allgemeiner Wirtschaftsaufschwung einsetzte, mehrten sich
die Forderungen der Beamten, die sich in der Periode nach dem Gehaltsgesetz von
1873 klugerweise zurückgehalten hatten, nach Gehaltserhöhungen.169 Die neuen
Massenparteien, die die Beamtenschaft als Stimmenpotenzial für sich entdeckt
hatten und für sie finanzielle Forderungen erhoben, stärkten ihren Mut. Die Re-
gierung wurde durch die Parteieninitiative in Zugzwang gebracht. Die massive
Unterstützung durch die Parteien (vor allem durch christlichsoziale, deutsch-
nationale und jungtschechische Abgeordnete) war der Regierung, die gewohnt
war, absolute Herrin der Bürokratie zu sein, ein neues, höchst unangenehmes, ja
gefährliches Phänomen. Nach dem auch die zwischen 1893 und 1895 vom Parla-
ment beschlossenen Zulagen für „Teuerung“, „Dienstalter“ sowie „Subsistenz“ für
einige Ränge die Staatsdiener nicht zufriedenstellten, nahm sich gar der Finanzmi-
nister, der von den Beamten traditionsgemäß als Feind ihrer Interessen betrachtet
wurde (1896 war es Leo Ritter von Biliński), der Beamten an, damit die Loyalität
der Staatsdiener, so argumentierte er, nicht anderen als der Regierung (gemeint
waren wohl die Parteien) zugutekäme. 1898 gab es endlich ein neues Gehaltsge-
setz, das vor allem die mittleren und die niederen Beamten von der XI. bis zur V.
Rangklasse begünstigte, während die Funktionszulagen der Beamten der hohen
Rangklassen III und IV eine milde Steigerung erfuhren.170 Nicht zuletzt war diese
Zuwendung, wie schon erwähnt, durch die Initiative des Kaisers zustande gekom-
men, der den Beamten – und wohl auch sich selbst – anlässlich des 50-jährigen Ju-
biläums seiner Thronbesteigung im Jahr 1898 ein Geschenk machen wollte, womit
sein Prestige im Beamtenstand anstieg.171
168 MAX FREIHERR von MA�R, Geschichte der Familie Mayr, Manus, S. 111, PA HENCKEL-
DONNERSMARCK.
169 Zum Folgenden MEGNER, Beamte, S. 127–132.
170 Gesetz vom 19. September 1898, RGBL. Nr. 172/1898, siehe ANHANG II.
171 Siehe Kapitel „Nationale Illustrationen“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277