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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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Bald danach nahmen die Forderungen der Beamten nach einer „Dienstprag-
matik“ und einer finanziellen Besserstellung streitbarere Formen an. 1907 folgte
eine neuerliche Gehaltsregulierung, die Dienstalterszulagen, Zeitvorrückungen
und eine signifikante Erhöhung der Gehälter der Beamten – wiederum wie schon
1898 – für die unteren Rangklassen VI bis XI brachte, während die der Angehö-
rigen der höheren Rangklasse V nur wenig gesteigert wurden.172 Es dauerte nicht
lange bis zu den nächsten Verhandlungsrunden. Im Parlament wurden vom 29.
November 1911 bis März 1913 intensive Debatten über die längst ausständige
Dienstpragmatik gepflogen, parallel dazu liefen die Verhandlungen der Kommis-
sion zur Förderung der Verwaltungsreform.173 Die Dienstpragmatik, schließlich
kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlassen,174 beließ allerdings die finanzi-
ellen Bezüge und die dienstlichen Einstufungen in den gewohnten Rangklassen,
gewährte aber den Beamten ihren alten Wunsch, nach einer gewissen Zeit in die
Bezüge der nächsten Rangklasse vorrücken zu dürfen, ohne dass deswegen die
rangklassenmäßige Stellung geändert werden musste.
Deutlich sind die entschiedenen Positionen der Parteien und der Regierung
an den hitzigen Debatten im Parlament abzulesen. Vergleichen wir allerdings die
Protokolle der Debatten im Abgeordnetenhaus von 1873,175 1896–1898,176 1907177
und 1911–1914,178 so können wir konstatieren, dass sich die Argumentation über
40 Jahre und die Generationen hinweg kaum änderte, dass sich das Szenario von
172 Gesetz vom 19. Februar 1907, RGBL. Nr. 34/1907, MEGNER, Beamte 133 f., siehe ANHANG II.
173 RRPROT., Haus der Abgeordneten, XXI. Session, 36. Sitzung am 29. November 1911, S. 1813–
1839. Sitzung am 6. März 1913, S. 6935 und 6949, zur Kommission siehe Kapitel „Generationen-
konflikte“.
174 Gesetz vom 25. Jänner 1914 „betreff end das Dienstverhältnis der Staatsbeamten und Staatsdie-
nerschaft (Dienstpragmatik)“, RGBL. Nr. 15/1914.
175 Wegen der großen Menge führe ich hier jeweils nur die wichtigsten General- und
Spezialdebatten an, zu jenen im Jahr 1873 siehe vorne S. 133.
176 General- und Spezialdebatte: RRPROT., Haus der Abgeordneten, XI. Session, 533. Sitzung am
24. November 1896, S. 27.316–27.368, 534. Sitzung am 25. November 1896, S. 27.380–27.421, 535.
Sitzung am 26. November 1896, S. 27.437–27.474.
177 Besonders RRPROT., Haus der Abgeordneten, XVII. Session, 478. Sitzung am 19. Jänner 1907,
S. 41.904–41.933, 480. Sitzung vom 22. Jänner, S. 42.029–42.089.
178 Aus den dreijährigen Beratungen seien die General- und Spezialdebatten hervorgehoben:
RRPROT., Haus der Abgeordneten, XXI. Session, 84. Sitzung am 22. Mai 1912, S. 3936–3970,
vom 30. Mai 1912, S. 4003–4029, 85. Sitzung vom 31. Mai 1912, S. 4043–4070, 86. Sitzung vom
3. Juni 1912, S. 4081–4105, 87. Sitzung vom 4. Juni 1912, S. 4116–4140, 88. Sitzung vom 5. Juni
1912, S. 4156–4186, 89. Sitzung vom 10. Juni 1912, S. 4201–4239, 90. Sitzung vom 11. Juni 1912, S.
4249–4276; weitere sechs Verhandlungen im Jahr 1912 betraf die Dienerschaft im Staatsdienst.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277